Im Blickpunkt: Beendigung des Konsultationsverfahrens mit dem Betriebsrat
Von Dr. Christian Bloth und Julia Loos
Hintergrund
Im Rahmen von sogenannten Massenentlassungen sind nach § 17 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) zum einen das Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat durchzuführen und zum anderen die Massenentlassungsanzeige gegenüber der Agentur für Arbeit abzugeben. Hier lauert eine Vielzahl von Fehlerquellen, die nicht zu unterschätzen sind, da Fehler bei der Durchführung dieser Verfahren eine Kündigung zu Fall bringen können. Die Brisanz der Vorschrift, die europarechtlichen Ursprungs ist, zeigt sich insbesondere auch in immer neuen Entscheidungen des EuGH und des BAG. Die seinerzeitige Veränderung des Anzeigeverfahrens, die sich in einer Änderung des Verständnisses des Begriffs „Entlassung“ (EuGH, Urteil vom 27.01. 2005, C-188/03) zeigte, oder auch die Definition des Begriffs „Arbeitnehmer“, die auch den Fremdgeschäftsführer einschließt (EuGH, Urteil vom 09.07.2015, C-229/14), macht die Brisanz der Vorschrift deutlich. Das BAG hat zuletzt mehrfach zu den Anforderungen an die ordnungsgemäße Durchführung des Konsultationsverfahrens Stellung genommen. So hatte es sich in einer Entscheidung vom 26.02.2015 (2 AZR 955/13) grundsätzlich zur Einleitung des Konsultationsverfahrens geäußert, auch in Verbindung zu Verhandlungen mit dem Betriebsrat nach §111 BetrVG. Dabei hatte der zweite Senat nochmals den gefestigten Grundsatz wiederholt, dass der Arbeitgeber seine Pflicht zur Konsultation nach § 17 KSchG mit seinen Pflichten nach § 111 BetrVG gleichzeitig erfüllen könne, sofern für den Betriebsrat klar zu erkennen sei, dass die Beratungen über einen Interessenausgleich auch der Erfüllung der Konsultationspflicht dienten. Offengelassen wurde in dieser Entscheidung, ob nach der vollständigen Unterrichtung gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG in jedem Fall eine „Schlussberatung“ erfolgen müsse und, falls nicht, ob der Arbeitgeber den Beratungsanspruch des Betriebsrats zumindest erst dann als erfüllt ansehen dürfe, wenn entweder die auf die „finale“ Unterrichtung erbetene Reaktion nicht binnen zumutbarer Frist erfolgt sei oder die Reaktion aus Sicht des Arbeitgebers keinen Ansatz für „weitere, zielführende Verhandlungen“ biete. Daran anknüpfend, hat sich das BAG in der nachfolgend dargestellten Entscheidung vom 22.09.2016 (2 AZR 276/16) nun mit der letztgenannten Frage befasst.
Sachverhalt (stark vereinfacht)
Die Beklagte erbrachte Passagedienstleistungen an Flughäfen. Nachdem ihre einzige Auftraggeberin im September 2014 alle Aufträge aus dem Bereich Check-in Anfang November 2014, die übrigen Aufträge zum 31.03.2015 gekündigt hatte, forderte sie den Betriebsrat zu Verhandlungen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan auf. Diese fanden im Zeitraum vom 25.09.2014 bis 07.10.2014 statt; eine Einigung erfolgte nicht. Nachdem auch im anschließenden Einigungsstellenverfahren keine Vereinbarung erzielt werden konnte, erklärte die Beklagte die Interessenausgleichsverhandlungen im Dezember 2014 für gescheitert und leitete mit Schreiben vom 02.01.2015 das Konsultationsverfahren ein. Ferner entschied sie Ende Januar 2015, ihren Betrieb zum 31.03.2015 stillzulegen. Nach Erstattung einer Massenentlassungsanzeige kündigte sie mit Schreiben vom 28.01.2015 alle Arbeitsverhältnisse.
Nachdem einige Mitarbeiter mit ihren Kündigungsschutzklagen wegen vermeintlicher Mängel im Verfahren nach § 17 KSchG erstinstanzlich erfolgreich gewesen waren, entschloss sich die Beklagte, dieses Verfahren sowie die Kündigungen zu wiederholen. Sie leitete daher zunächst im Juni 2015 ein weiteres Konsultationsverfahren ein und beriet mit dem Betriebsrat am 24.06.2015 über eine mögliche „Wiedereröffnung“ des Betriebs. Eine solche kam für sie nur bei einer Absenkung der bisherigen Vergütungen in Betracht. Im Nachgang forderte die Beklagte den Betriebsrat auf, bis zum 25.06.2015 abschließend Stellung zu nehmen. Der Betriebsrat ließ daraufhin keine Bereitschaft erkennen, an entsprechenden Maßnahmen mitzuwirken, weshalb die Beklagte – nach einer erneuten Massenentlassungsanzeige – die verbliebenen Arbeitsverhältnisse vorsorglich ein zweites Mal kündigte.
Die Klägerin hat sich gegen beide Kündigungen gewandt. Das LAG erklärte beide Kündigungen für unwirksam und ließ die Revision zu.
Entscheidung
Die Revision der Beklagten hatte vor dem zweiten Senat des BAG teilweise Erfolg. Die erste Kündigung war nach Auffassung des BAG gemäß § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG in Verbindung mit § 134 BGB nichtig. Begründet wurde dies damit, dass die Beklagte in der vorausgegangenen Massenentlassungsanzeige den Stand der Beratungen mit dem Betriebsrat nicht korrekt dargelegt habe. Die zweite Kündigung wurde hingegen als wirksam angesehen, da vor deren Aussprache das erforderliche Konsultationsverfahren auch unter Beachtung der unionsrechtlichen Vorgaben ordnungsgemäß durchgeführt worden sei. Die Beklagte habe dem Betriebsrat alle erforderlichen Auskünfte erteilt, um auf ihren Entschluss, an der Betriebsstilllegung festzuhalten, einwirken zu können. Deshalb durfte die Beklagte – nachdem keine Verhandlungsbereitschaft seitens des Betriebsrats mehr erkennbar war – die Verhandlungen als gescheitert ansehen.
Fazit
Die Entscheidung des BAG, die bislang nur als Pressemitteilung vorliegt, ist vom Ergebnis her zu begrüßen. Danach kann der Arbeitgeber ein Konsultationsverfahren zu Recht als beendet ansehen, wenn keine weitere Verhandlungsbereitschaft über Maßnahmen zur Vermeidung oder Einschränkung von Massenentlassungen auf Seiten des Betriebsrats zu erkennen ist. Nichts anderes kann gelten, wenn der Betriebsrat von Beginn an keine Bereitschaft zeigt, über die geplanten Entlassungen zu verhandeln.
Abzuwarten bleibt die Urteilsbegründung, in der die genauen Umstände, aus denen der Arbeitgeber das Scheitern der Verhandlungen schließen durfte, beschrieben sein werden. Ferner bleibt abzuwarten, ob das BAG in den Entscheidungsgründen auch zu den Fragen des Erfordernisses einer Schlussberatung sowie dem Erfordernis einer zumutbaren Fristsetzung für eine Reaktion des Betriebsrats auf die abschließende Unterrichtung Stellung nehmen wird.
Trotz dieser aus Arbeitgebersicht erfreulichen Entscheidung ist Arbeitgebern bei der Durchführung von Massenentlassungen im Hinblick auf das Konsultationsverfahren zu raten, die Einleitung, Durchführung und den Abschluss des Konsultationsverfahrens stets nachweisbar zu dokumentieren. Zwar erscheint es häufig als nicht nachvollziehbar, wenn der Arbeitgeber in den laufenden Interessenausgleichsverhandlungen schon Darlegungen zu der Maßnahme gemacht und in den Sozialplanverhandlungen schon Angebote vorgelegt hat, dies alles noch einmal in einem separaten Verfahren zur Erfüllung der Konsultationspflicht schriftlich wiedergeben zu müssen. Doch gerade wenn sich Verhandlungen zum Interessenausgleich schwierig gestalten und ein Scheitern nicht ausgeschlossen werden kann, ist hier besonders sorgfältig vorzugehen. Denn scheitern die Interessenausgleichsverhandlungen, ist mit zahlreichen Klagen zu rechnen, die auch die Beachtung von § 17 KSchG zum Gegenstand haben werden. Aber auch bei einer Verknüpfung mit dem Verfahren nach § 111 BetrVG sollte dem Betriebsrat klar und ebenfalls nachweisbar zu erkennen gegeben werden, dass eine Konsultation nach § 17 KSchG beabsichtigt ist. Dies sollte – kommt es zu einer Einigung – auch Niederschlag im Text des Interessenausgleichs finden. Befindet sich das Verfahren der Verhandlung des Interessenausgleichs in der Einigungsstelle, ist das Konsultationsverfahren ohnehin davon getrennt mit dem Betriebsrat durchzuführen. Gerade bei unübersichtlichen Verhandlungsläufen dürfen diese Formalia, wenn das Datum des Kündigungsausspruchs näher rückt, nicht auf die leichte Schulter genommen werden.
christian.bloth@kallan-legal.de
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