BAG entscheidet über Wirksamkeit einer Differenzierungsklausel mit Stichtagsbezug – Besondere Fallgestaltung
Von Dr. Christian Bloth und Ulf C. Lohrum

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Es ist kein Geheimnis, dass Gewerkschaften mitunter Mühen haben, neue Mitglieder zu werben. Diese werden jedoch benötigt, um in Tarifstreitigkeiten mit Durchschlagskraft aufwarten zu können. So betrachtet ist es nachvollziehbar, dass Gewerkschaften versuchen, ihren Mitgliedern eine „Extrawurst“ zu bescheren, die nicht organisierten Mitarbeitern – aber wie man in diesem Fall sieht – auch „zu spät kommenden“ Mitgliedern vorenthalten bleibt. Vielen Arbeitnehmern fehlt der Anreiz für einen Gewerkschaftsbeitritt, da ihnen ihr Arbeitgeber durch vertragliche Bezugnahmeklauseln die Rechte gewährt, die sie auch hätten, wenn sie tariflich organisiert wären. Dies muss jedoch nicht immer der Fall sein, was sich für den nicht organisierten Arbeitnehmer negativ auswirken mag.

Die Differenzierungsklausel – ihre Ausgestaltungen

„Qualifizierte Differenzierungsklauseln“ verpflichten den Arbeitgeber, bestimmte Leistungen ausschließlich Gewerkschaftsmitgliedern zukommen zu lassen, also untersagen es vertraglich, sie auch anderen Arbeitnehmern einzuräumen – oder knüpfen daran negative Folgen, wenn sie auch anderen Arbeitnehmern eingeräumt werden. Solche Klauseln erachtet das Bundesarbeitsgericht (BAG) für unwirksam. Das BAG betrachtete jüngst (Urteil vom 23.03.2011 – Az. 4 AZR 366/09) qualifizierte Differenzierungsklauseln in Form einer „Spannenklausel“ als unzulässig, da sie gegen die grundgesetzlich geschützte negative oder positive Koalitionsfreiheit verstoßen. Die Tarifparteien dürfen keine Regelungen schaffen, die Dritte in ihrer Koalitionsfreiheit beeinträchtigen, also etwa eine Drucksituation aufbauen, die den Eintritt in die tarifschließende Gewerkschaft unumgänglich macht.

„Einfache Differenzierungsklauseln“ knüpfen hingegen in Bezug auf tarifliche Sonderleistungen zwar ebenfalls an die Gewerkschaftszugehörigkeit an, überlassen es jedoch dem Arbeitgeber, ob er diese Ansprüche auf Nichtmitglieder ausweiten möchte. Das BAG sah damit den Druck auf Nicht-gewerkschaftsmitglieder als so weitgehend reduziert, dass es die einfache Differenzierungsklausel für zulässig erachtete (Urteil vom 18.03.2009 – Az. 4 AZR 64/08).

Weitere Klauseln in Tarifverträgen machen Leistungen davon abhängig, ob ein Arbeitnehmer zu einem Stichtag Mitglied der Gewerkschaft gewesen ist. Das BAG betrachtete eine Stichtagsregelung, die sich auf einen in der Vergangenheit liegenden Stichtag bezieht und ausschließlich zu dem Stichtag der Gewerkschaft angehörige Mitarbeiter begünstigte, als unzulässig (BAG, Urteil vom 09.05.2007 – Az. 4 AZR 275/06).

Aktuelle Entscheidung des BAG – Differenzierung im Tarifsozialplan

In einer aktuellen Entscheidung des BAG (Urteil vom 15.04.2015 – Az. 4 AZR 796/13) war erneut über die Wirksamkeit einer Differenzierungsklausel mit Stichtagsbezug zu befinden. Die Differenzierungsklausel gewährte nur solchen Arbeitnehmern eine Sonderleistung, die kurz vor Abschluss des Tarifvertrags Mitglied der Gewerkschaft waren, schloss somit nicht organisierte Arbeitnehmer, aber auch später beitretende Mitglieder aus.

Der tarifgebundene Arbeitgeber beabsichtigte Anfang 2012, einen seiner Betriebe zu schließen. Als Folge von Verhandlungen mit dem Betriebsrat und der Gewerkschaft IG Metall konnte die voll-ständige Betriebsschließung mittels eines Stellenabbaus und der Überführung von Arbeitsverhältnissen in eine Transfergesellschaft abgewendet werden. Arbeitgeber und IG Metall schlossen am 04.04.2012 einen „Transfer- und Sozialtarifvertrag“ (TV), der an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses Abfindungszahlungen sowie bei Übertritt in die Transfergesellschaft ein Gehalt in Höhe von 70% des früheren Bruttoeinkommens knüpfte.

Zusätzlich zu dem TV schlossen die Tarifvertragsparteien einen „Ergänzenden Tarifvertrag“ (ETV), der nur für Gewerkschaftsmitglieder gelten sollte, die am 23.03.2012 Mitglied der IG Metall waren. Der ETV gewährte eine zusätzliche Abfindung von 10.000 Euro und erhöhte das Gehalt des Transferarbeitsverhältnisses auf 80%.

Den Tarifvertrag, nicht jedoch den ETV, übernahm der Arbeitgeber in einem mit dem Betriebsrat vereinbarten Interessenausgleich.

Die Klägerin, die im Juli 2012 Mitglied der IG Metall wurde, und damit der Gewerkschaft wenige Monate nach dem Stichtag beigetreten war, verklagte ihren vormaligen Arbeitgeber, aber auch die Transfergesellschaft, in die sie eingetreten war, auf Zahlung der Sonderleistungen aus dem ETV.

Die Klage blieb ohne Erfolg. Die Transfergesellschaft war nicht Vertragspartei des ETV. Aber auch der vormalige Arbeitgeber, so das BAG, sei nicht verpflichtet, der Klägerin die Leistungen zu gewähren. Die Aufnahme der Stichtagsklausel in den ETV stelle keine Differenzierung zwischen Mitgliedern der Gewerkschaft und Außenseitern dar, sondern differenziere zwischen Mitgliedern der Gewerkschaft, die ohnehin nach dem ETV nur anspruchsberechtigt seien.

Die Klausel des ETV führe auch zu keiner unzulässigen Drucksituation für Nichtmitglieder, verstoße somit nicht gegen die negative Koalitionsfreiheit. Die Klausel führe im ETV zu einer „Binnendifferenzierung“ zwischen Gewerkschaftsmitgliedern. Dem Arbeitgeber stehe es frei, Nichtmitgliedern vergleichbare Sonderleistungen zu gewähren. Auch Arbeitnehmer könnten mit dem Arbeitgeber entsprechende Regelungen vereinbaren.

Da die Klägerin zum Stichtag nicht Gewerkschaftsmitglied war und ihr auch sonst diese Vorteile nicht zugesagt worden waren, stand ihr kein Anspruch auf die zusätzlichen Leistungen zu.

Zudem wies das Gericht darauf hin, dass der ETV auch im Hinblick auf den Regelungsgegenstand – Ausgleichsleistungen bei einer Betriebsschließung – wirksam sei, also auch Tarifvertragsparteien – mit anderen Worten: nicht nur Betriebsräte – diese vereinbaren könnten. Es führte in Übereinstimmung mit seiner früheren Argumentation aus (BAG, Urteil vom 23.03.2011 – Az. 10 AZR 701/09), dass Stichtagsregelungen zudem zulässig seien, wenn sich die Wahl des Stichtags am gegebenen Sachverhalt orientiere und wie vorliegend in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem Abschluss des Tarifvertrags stehe.

Auch der Interessenausgleich, mittels dessen der Tarifvertrag, nicht aber der ETV, für alle betroffenen Mitarbeiter vereinbart wurde, sei nicht angreifbar, da der ETV, der die zeitliche Differenzierung vorsehe, in diesem Rahmen gerade nicht vereinbart worden sei.
Das LAG stellt zudem klar, dass auch eine Feststellung der Unwirksamkeit der Differenzierungsklausel insgesamt oder der Stichtagsregelung nicht zu einem Anspruch der Nichtmitglieder oder der später Beitretenden auf die Sonderleistungen geführt hätte. Eine „Anpassung nach oben“ könne insbesondere nicht auf den arbeitsrechtlichen oder den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gestützt werden. Ersterer binde einen Arbeitgeber nur an selbst aufgestellte Regelungen, nicht jedoch an solche aus Tarifverträgen. Ebenso ließe sich auch aus dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz kein Anspruch auf eine höhere Leistung ableiten, da dieser Grundsatz dem Arbeitnehmer keine subjektiven Rechte gegenüber dem Arbeitgeber verleihe.

Fazit

Die Entscheidung setzt die Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln und Stichtagsregelungen fort. Die Sachverhaltsgestaltung war jedoch insoweit besonders, als hier eine Binnendifferenzierung zwischen Gewerkschaftsmitgliedern gegenständlich war. Zentraler Ausgangspunkt für die Zulässigkeit der vorliegenden Differenzierungsklausel war die Tatsache, dass es weiterhin in der Disposition des Arbeitgebers stand, den Nichtmitgliedern Sonderleistungen zu gewähren. Er muss es aber nicht – und Arbeitnehmer können auch durch einen nachträglichen Beitritt, besser „Trittbrettfahren“, nicht in den Genuss der „Extrawurst“ kommen. Es bleibt aber die Frage, wie sie auch in der Klage formuliert wurde, ob Arbeitnehmer eines tarifgebundenen Unternehmens angesichts dieser Rechtsprechung nicht besser frühzeitig einer Gewerkschaft beitreten sollten, um eventuelle künftige Leistungen gerade bei einer Schließung zu sichern, denn Verlass auf die Gleichstellung durch den Arbeitgeber – gerade im Schließungsfall – besteht nicht.

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