Vorsicht: Es drohen einstweilige Unterlassungsverfahren und eine spätere Wahlanfechtung

Von Tobias Grambow

Beitrag als PDF (Download)

In diesem Jahr ist es wieder so weit: Deutschlandweit werden die Betriebsräte neu gewählt. War die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat für den Arbeitgeber gut, hat er regelmäßig ein Interesse daran, diese Besetzung auch nach der Wahl beizubehalten. Umgekehrt mag sich das Bedürfnis ergeben, einen tatsächlichen Wechsel herbeizuführen. So verständlich das Ansinnen ist, so zurückhaltend ist die Rechtsprechung damit, dem Arbeitgeber Einflussmöglichkeiten auf die Betriebsratswahl zuzugestehen. Die zu beachtende Rechtsprechung ist nachfolgend dargestellt und kommentiert.

Behinderung und Beeinflussung einer Betriebsratswahl

Geschützt wird die Betriebsratswahl durch das Behinderungs- und Beeinflussungsverbot. Niemand darf die Betriebsratswahl behindern, § 20 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Ferner ist die Beeinflussung einer Betriebsratswahl verboten, wenn sie durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen erfolgt, § 20 Abs. 2 BetrVG. Darüber hinaus soll der Arbeitgeber zur Neutralität verpflichtet sein, da die Wahl des Betriebsrats eine Angelegenheit der Arbeitnehmer sei (LAG Hessen, Beschluss vom 12.11.2015 – 9 TaBV 44/15, BeckRS 2016, 66369; LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 01.08.2007 – 12 TaBV 7/07, BeckRS 2008, 50103).

Wahlbehinderung

Die Behinderung der Betriebsratswahl setzt ein Verhalten voraus, mit dem die Einleitung oder Durchführung der Wahl erschwert oder unmöglich gemacht wird. Ob sich tatsächlich eine Auswirkung auf den Wahlausgang ergibt, ist nicht erheblich (Kreutz in: GK-BetrVG, § 20 Rn. 43 mit weiteren Nachweisen). Der Begriff der Betriebsratswahl beschränkt sich nicht auf den Vorgang der Stimmabgabe. Umfasst ist das gesamte Wahlverfahren, also alle mit der Wahl zusammenhängenden oder ihr dienenden Handlungen, Betätigungen und Geschäfte (Fitting, § 20 BetrVG Rn. 7). Das Behinderungsverbot schützt die Handlungsfreiheit und nicht die innere Willensbildung der Wähler (LAG Köln, Beschluss vom 15.10.1993 – 13 TaBV 36/93, NZA 1994, 431). Verboten sind nur rechtswidrige Behinderungen; auf ein Verschulden kommt es nicht an.

Eine Wahlbehinderung besteht darin, die Stimmabgabe unmöglich zu machen oder zu erschweren, etwa durch Verwehrung des Zugangs zum Betrieb oder zur Stimmabgabe. Der Arbeitgeber kann eine Betriebsratswahl auch dadurch behindern, dass er dem Wahlvorstand nicht die zur Durchführung der Betriebsratswahl erforderlichen Mittel zur Verfügung stellt. Dazu gehört auch, die für die Erstellung der Wählerliste erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen, § 2 Abs. 2 Satz 1 Wahlordnung.

Es kann eine Behinderung der Betriebsratswahl darstellen, wenn der Arbeitgeber Wahlwerbung generell oder für einzelne Listen oder Kandidaten unterbindet oder beschränkt.

Beispiel: Der Arbeitgeber bot allen Listen an, einmalig das E-Mail-Adressbuch des Arbeitgebers zur Versendung von Wahlwerbung per E-Mail zu nutzen. Der Versand sollte über den Vorstand erfolgen. Dieser weigerte sich, Wahlwerbung der Liste 12 zu versenden, da darin Tabellen zum durchschnittlichen Sterbealter der männlichen Mitarbeiter im Vergleich zum allgemeinen Durchschnittssterbealter (das höher lag) enthalten waren. Der Listenführer änderte die E-Mail ab. Statt der Angaben zum Sterbealter sah diese nun einen Passus vor, in dem darüber informiert wurde, dass auf Anweisung des Vorstands Inhalte aus der E-Mail herausgenommen werden mussten, da diese nicht für die Öffentlichkeit oder die Mitarbeiter bestimmt gewesen seien. Der Vorstand verweigerte auch den Versand dieser E-Mail.

Das LAG Hessen (Beschluss vom 22.10.2015 – 9 TaBV 71/15) sah dies als eine Behinderung der Betriebsratswahl an. Die Daten und Aussagen seien zutreffend gewesen, und die Wahlwerbung habe sich im Rahmen der Rechtsordnung gehalten.

Betriebliche Umstrukturierungen

Betriebliche Umstrukturierungen, die nicht den Zweck haben, die Wahl zu behindern, bleiben jederzeit zulässig. So mag der Arbeitgeber sein Unternehmen oder den Betrieb etwa spalten oder zusammenfassen und damit letztlich auch eine andere Zusammensetzung des Betriebsrats/der Betriebsräte erhalten.

Beeinflussung der Wahl

Die Vorschrift zur Beeinflussung der Wahl schützt die Integrität der Betriebsratswahl. Nach der wohl herrschenden Meinung sei es unerheblich, ob die tatbestandliche Vorteilsgewährung gegenüber dem wählenden Arbeitnehmer oder einem Kandidaten gegenüber erfolgt (BAG, Beschluss vom 04.12.1986 – 6 ABR 48/85, NZA 1987, 166).

Beispiel: Der Arbeitgeber unterstützte eine Gruppe von Kandidaten tatsächlich und finanziell bei der Herstellung einer Wahlzeitung. Das BAG sah darin eine unzulässige Beeinflussung einer Betriebsratswahl (BAG a.a.O). Besonders aufgemachte Wahlaufrufe zugunsten bestimmter Wahlkandidaten seien geeignet, die Entscheidung des Wählers maßgeblich zu beeinflussen. Auch wird der konkreten Kandidatengruppe ein finanzieller Vorteil gewährt, der anderen Kandidaten nicht zuteil wurde.

Der Vorteil wird in dem Beispiel Kandidaten gewährt, die sich bereits zur Ausübung des passiven Wahlrechts entschlossen haben. Nach zutreffender Literaturansicht handelt es sich in der vorliegenden Konstellation um eine – jeden Wahlkampf prägende – Unterstützung eines Kandidaten/einer Kandidatengruppe. So ist jeder Wahl die Intention immanent, den Wähler von bestimmten Argumenten zu überzeugen oder durch das Erzeugen oder Aufgreifen von Stimmungen und Empfindungen zur Abgabe der Stimme in eine bestimmte Richtung zu bewegen. Jeder Wahlkampf beeinflusst folglich die Wahl (Rieble, ZfA 2003, 283, 292). Zudem wird – soweit ersichtlich – einer Gewerkschaft oder dem Betriebsrat nicht das Recht abgesprochen, solche Unterstützung zu leisten. Aufgrund des Charakters als „Jedermann-Norm“ wäre dies aber die Konsequenz der Sichtweise des BAG.

Beispiel: Der Arbeitgeber sammelte Stützunterschriften für eine bestimmte Vorschlagsliste. Das LAG Hessen wertet dies als unzulässige Wahlbeeinflussung (LAG Hessen, Beschluss vom 23.08.2001 – 12 TaBV 31/01).

Beispiel: Eine von vier Listen zur Betriebsratswahl bat den Arbeitgeber, ein Callcenter-Dienstleister, über Monitore auf den Flächen auch Wahlwerbung für diese Liste zeigen zu können. Der Arbeitgeber gestattete dies, informierte aber die anderen Listen nicht über diese Möglichkeit. Das LAG Hamm sah hierin keine Wahlbeeinflussung (LAG Hamm, Beschluss vom 27.10.2015 – 7 TaBV 19/15). Zwar sei es gemäß § 20 Abs. 2 BetrVG und der daraus folgenden Neutralitätspflicht dem Arbeitgeber untersagt, bestimmte Listen finanziell oder mit Betriebsmitteln zu unterstützen. Der Arbeitgeber musste aber nicht aktiv auf die Vertreter der anderen Listen zugehen und die Möglichkeit der Wahlwerbung über die Monitore anbieten. Im Gegenteil, so das LAG, wäre es unzulässig, wenn er diese Wahlwerbungsidee auch den anderen Listen anbietet.

Dass es einen Unterschied machen soll, ob der Arbeitgeber an eine Kanditatenliste herantritt oder die Listenvertreter den Arbeitgeber ansprechen, überzeugt nicht.

Häufig bieten auch Äußerungen des Arbeitgebers im Wahlkampf Anlass zum Streit. So ist es unzulässig, wenn der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer mit der Kündigung oder Versetzung droht, falls der Arbeitnehmer sich an der Betriebsratswahl (aktiv oder passiv) beteiligt oder er seine Stimme (nicht) für eine bestimmte Liste abgibt (Maschmann, BB 2010, 245, 249).

Beispiel: Ein Kandidat einer Liste für die Betriebsratswahl hatte gegen eine andere Liste Stimmung gemacht, woraufhin der Listenführer der betroffenen Liste Strafanzeige gegen den Listenkandidaten stellte. In der Folge kam es zu Personalgesprächen mit Vertretern der Liste. Darin wurde suggeriert, die Strafanzeige betreffe alle Listenkandidaten, es könnten arbeitsrechtliche Konsequenzen drohen, und sie sollten rechtlichen Rat einholen etc. Zahlreiche Kandidaten der Liste zogen anschließend ihre Kandidatur zurück. Das ArbG Duisburg (ArbG Duisburg, Beschluss vom 11.09.2014 – 1 BV 16/14) sah hierin eine unzulässige Beeinflussung der Betriebsratswahl. Die Kandidaten seien rechtswidrig beeinflusst worden, ihre Kandidatur zurückzuziehen.

Neutralitätspflicht des Arbeitgebers

Über den Wortlaut des § 20 BetrVG hinaus wird vertreten, der Arbeitgeber habe sich aus der Betriebsratswahl gänzlich – auch mit Äußerungen und Kommentaren – herauszuhalten (BAG, Beschluss vom 04.12.1986 – 6 ABR 48/85). Er sei zur Neutralität verpflichtet.

Beispiel: Der Arbeitgeber bzw. leitende Angestellte des Betriebes sammelten Stützunterschriften für eine bestimmte Vorschlagsliste. Das LAG Hamburg hat dies als Verstoß gegen die Neutralitätspflicht des Arbeitgebers angesehen (LAG Hamburg, Beschluss vom 12.03.1998 – 2 TaBV 2/98).

Beispiel: Der Personalleiter äußerte gegenüber außertariflichen Mitarbeitern des Betriebs seinen Unmut über die Arbeit des seinerzeitigen Betriebsratsvorsitzenden. Dieser behindere die Arbeit des Unternehmens. Der Personalleiter soll zudem die Arbeit des Betriebsratsvorsitzenden ins Lächerliche gezogen und die Situation als Zumutung bezeichnet haben. Er regte an, eine „gescheite Liste“ aufzustellen und nach geeigneten Kandidaten zu suchen. Zudem erwähnte der Personalleiter die circa 50 vom Betriebsrat angestrengten Gerichtsverfahren. Zu einem späteren Zeitpunkt bat der Arbeitgeber einzelne Arbeitnehmer gezielt um eine Kandidatur zur Betriebsratswahl. Eine Führungskraft des Betriebs meinte, wer dem Betriebsratsvorsitzenden seine Stimme gebe, betreibe Verrat. Zu einer Wiederwahl des Betriebsratsvorsitzenden dürfe es nicht kommen. Das LAG Hessen (Beschluss vom 12.11.2015 – 9 TaBV 44/15) sah in dem Verhalten des Arbeitgebers (und seiner Führungskräfte) eine Verletzung der Neutralitätspflicht. Der Arbeitgeber dürfe insbesondere keine Wahlpropaganda für oder gegen eine Liste oder bestimmte Wahlbewerber machen. Die Betriebsratswahl solle allein auf der freien Entscheidung der Betriebsangehörigen beruhen.

Die dem Arbeitgeber und seinen Vertretern vorgeworfenen Äußerungen sind ersichtlich Werturteile und damit von der auch im Betrieb zu beachtenden Meinungsfreiheit geschützt. Der Arbeitgeber und seine Führungskräfte setzen sich naturgemäß kritisch und auch scharf mit der Arbeit des Betriebsrats auseinander. Es überzeugt nicht, dass sich der Arbeitgeber in seinem eigenen Betrieb einen „Maulkorb“ verpassen lassen muss (Rieble, ZfA 2003, 283, 302). Die Ermunterung, sich zur Wahl aufstellen zu lassen, kann nicht unzulässig sein, wenn hierfür keine Vorteile angeboten oder gewährt worden sind. Es ist auch nicht ersichtlich, dass mündige Arbeitnehmer vor Meinungen des Arbeitgebers geschützt werden müssten.

Kritik

Das Betriebsverfassungsrecht führt zu erheblichen Eingriffen in die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers. Seine Handlungsspielräume sind durch zahlreiche Mitbestimmungs- und Mitwirkungstatbestände stark eingeschränkt. Der Arbeitgeber hat naturgemäß ein erhebliches Interesse daran, dass dem Betriebsrat Arbeitnehmer angehören, mit denen konstruktiv verhandelt und sinnvolle Lösungen für den Betrieb und die Belegschaft gefunden werden können. Das BetrVG benennt den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zum Wohle des Betriebs und der Belegschaft. Das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit kann das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nicht dergestalt einschränken, dass dem Arbeitgeber die Möglichkeit genommen wird, sich zu betrieblichen Abläufen, der Arbeit des Betriebsrats, zu einzelnen Kandidaten oder Listen und zur Zukunft des Betriebes zu äußern. Untersagt sein kann daher nicht die argumentative Auseinandersetzung mit der Wahl und den Kandidaten, sondern (nur) die unmittelbaren Gewährung von Vorteilen für die Stimmabgabe in die vom Arbeitgeber gewünschte Richtung bzw. die Ausübung rechtswidrigen Drucks oder Täuschung zu diesem Zweck (Rieble, ZIP 2009, 1593, 1599).

Strafrechtliche Relevanz

Die Verletzung der Pflichten aus § 20 Abs. 1 und 2 BetrVG kann strafrechtlich relevant werden, § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Die wohl herrschende Meinung sieht § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG als Erfolgsdelikt, so dass ein Behinderungs-/Beeinflussungserfolg erforderlich ist (siehe etwa
BayObLG, Urteil vom 29.07.1980 – RReg. 4 St 173/80, NStZ 1981, 30). Strafbar ist zudem nur vorsätzliches Handeln. Voraussetzung für eine strafrechtliche Verfolgung ist ein Strafantrag, der beispielsweise vom Betriebsrat, vom Wahlvorstand, einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft und/oder dem Arbeitgeber gestellt werden kann, § 119 Abs. 2 BetrVG; einzelne Arbeitnehmer sind nicht strafantragsberechtigt.

Fazit

Der Arbeitgeber sollte die Sichtweise der Gerichte kennen und beachten und sich mit Äußerungen, Wahlempfehlungen etc. zurückhalten. Sonst drohen einstweilige Unterlassungsverfahren und eine spätere Wahlanfechtung.

grambow@buse.de

Aktuelle Beiträge