Im Blickpunkt: EGMR entscheidet zu Privatsphäre bei E-Mail-Kontrolle im Unternehmen – weitreichende Möglichkeiten des Arbeitgebers
Von Dr. Jan Tibor Lelley, LL.M. (Suffolk)
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat über die Kontrolle der privaten Nutzung eines Messenger-Accounts am Arbeitsplatz entschieden: Darin liege kein Verstoß gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens und der Korrespondenz [„Barbulescu vs. Rumänien“ – 61496/08 (2016) ECHR 61 (12.01.2016)].
Einleitung
Straßburg ist weit weg, sagen die einen. Straßburg kommt immer näher, meinen die anderen. In Deutschland und anderen Ländern der EU sind wir schon seit vielen Jahren daran gewöhnt, im Europäischen Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) ein wichtiges, vielleicht sogar das wichtigste Gericht für die Entwicklung des Arbeitsrechts zu sehen. Doch in letzter Zeit schiebt sich ein anderer „supranationaler“ Spruchkörper mehr und mehr in den Fokus der Arbeitsrechtler: der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Das wurde erstmals in einer breiteren (Fach-)Öffentlichkeit wahrgenommen bei der Entscheidung „Heinisch“, in der sich der EGMR zum Fall einer Berliner Altenpflegerin äußerte, die nach Whistleblowing-Vorwürfen gekündigt wurde (EGMR, Urt. v. 21.07.2011 – 28274/08). Auch das BAG betont in letzter Zeit häufig, wie wichtig für die nationalen Gerichte der Grundsatz der konventionsfreundlichen Auslegung des nationalen Rechts sei, also die Berücksichtigung der Rechtsprechung aus Straßburg (BAG, Urteil vom 20.10.2015 – Az. 9 AZR 743/14). Ein aktuelles Urteil könnte diesen Trend noch verstärken:
Kontrolle des Yahoo-Messengers – Gesundheit und Sex
Der EGMR hat einen Verstoß gegen Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verneint, den ein beschwerdeführender Arbeitnehmer aus Rumänien wegen einer gegen ihn ausgesprochenen Kündigung behauptet hatte. Der Beschwerdeführer war wegen der privaten Nutzung eines Yahoo-Messengers gekündigt worden, der ursprünglich lediglich für Arbeitszwecke eingerichtet und genutzt werden sollte.
Der Beschwerdeführer betreute als Angestellter seit August 2004 bei einem Unternehmen Kunden und richtete dazu auf Anweisung seiner Arbeitgeberin einen Yahoo-Messenger-Account mit seiner E-Mail-Adresse und einem Passwort ein. Diesen sollte er zur geschäftlichen Korrespondenz nutzen. Das Unternehmen hatte dabei seinen Arbeitnehmern untersagt, privat über unternehmenseigene technische Geräte zu kommunizieren.
Im Jahr 2007 wurde der Beschwerdeführer informiert, seine Yahoo-Messenger-Kommunikation werde überwacht. Und es gebe bereits Protokollaufzeichnungen mit Beweisen zur privaten Korrespondenz, die er über den Account abwickle. Es ließe sich ein Nachrichtenverkehr mit seiner Verlobten und seinem Bruder über intime Lebenssachverhalte nachweisen. Der Beschwerdeführer bestritt diese Vorwürfe.
Daraufhin wurden ihm Auszüge aus der insgesamt 45 Seiten umfassenden Protokollierung seiner privaten Messenger-Korrespondenz vorgelegt. Dann erfolgte die Kündigung aufgrund der Nichteinhaltung der Vorgaben zur privaten Korrespondenz mit den unternehmenseigenen Arbeitsmitteln.
Der Beschwerdeführer ging gerichtlich gegen die Kündigung vor und berief sich zum einen darauf, die Arbeitgeberin habe ihm nicht eindeutig klargemacht, dass eine private Nutzung nicht erlaubt sei. Nach Ansicht des Beschwerdeführers ergab sich eine geduldete private Nutzung daraus, dass er ein eigenes Passwort vergeben durfte und der Messenger lediglich ihm zur Verfügung stand. Die nationalen rumänischen Gerichte wiesen seine Klage letztinstanzlich und rechtskräftig ab.
In seiner Beschwerde vor dem EGMR berief er sich unter anderem auf Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der auch das Recht auf Achtung des Privatlebens und der Korrespondenz schützt. Er war der Ansicht, die nationalen Gerichte hätten die Überwachung seiner Messenger-Korrespondenz nicht gutheißen dürfen, gerade weil es in den Messenger-Nachrichten auch um gesundheitliche und sexuelle Themen ging, die als Kernbereich der Privatsphäre zu schützen seien.
Recht auf Achtung des Privatlebens
Hier hat der EGMR klargestellt, dass kein Verstoß gegen Art. 8 der Konvention vorliege.
Zum einen habe das Unternehmen ausreichend deutlich jegliche private Kommunikation untersagt, was dem Beschwerdeführer auch bekannt gewesen sei. Zum anderen sei er vorgewarnt gewesen, da es Kontrollen hinsichtlich der Nutzung auch bei anderen Mitarbeitern des Unternehmens gegeben hatte. Die Arbeitgeberin musste also zum Zeitpunkt der Auswertung der Messenger-Nachrichten nicht davon ausgehen, private Korrespondenz zu finden, da sie unterstellen durfte, dass der Messenger lediglich zur dienstlichen Kommunikation genutzt wurde. Dazu weist das Gericht auf den Umstand hin, dass der Beschwerdeführer, als die Arbeitgeberin ihn auf den privaten E-Mail-Verkehr ansprach, dies bestritt. Die Arbeitgeberin hatte also keine andere Möglichkeit, als durch Vorhalt der Auszüge des Chatprotokolls das Bestreiten des Arbeitnehmers zu widerlegen.
Hierbei sei die Arbeitgeberin verhältnismäßig vorgegangen, so der EGMR. Denn obwohl der Chat sensible Inhalte, betreffend die Gesundheit und das Sexualleben, enthielt, habe sie lediglich die Teile des Chats ausgewählt, die notwendig waren, um die Richtigkeit ihrer Kündigungsvorwürfe zu beweisen.
„The Court finds that it is not unreasonable for an employer to want to verify that the employees are completing their professional tasks during working hours.“
Was bedeutet die Entscheidung für Unternehmen in Deutschland?
Nachdem diese Entscheidung des EGMR bekannt wurde, war in der (Fach-)Presse in Deutschland teilweise zu lesen, das Gericht habe hier über eine „spezielle Konstellation“ entschieden. So konnte der Eindruck entstehen, das Urteil habe für die nationale Rechtsordnung keine Bedeutung. Das ist nicht richtig. Denn der EGMR bestätigt Grundprinzipien des Arbeitnehmerdatenschutzrechts, wenn es um die Kontrolle von Onlinediensten am Arbeitsplatz geht:
Es ist ein selbstverständliches Recht jedes Unternehmens, das Arbeitsverhalten und die Arbeitsergebnisse der Mitarbeiter zu kontrollieren – sei es offline oder online.
Insbesondere bei verbotener Privatnutzung von Onlinediensten am Arbeitsplatz kann es kein Vertrauen auf das Ausbleiben einer Kontrolle geben (no reasonable expectation to privacy), und zwar immer dann, wenn das Unternehmen klarstellt, dass Kontrollen erfolgen.
Alle Kontrollen müssen verhältnismäßig erfolgen, vor allem mit so geringer Intensität des Eingriffs wie möglich.
Praxistipp
In der täglichen Praxis kommt daher einer Online-Policy, also einer unternehmensinternen Richtlinie zum Umgang mit Onlinediensten am Arbeitsplatz, besondere Bedeutung zu. Dort werden Pflichten und Rechte der Mitarbeiter beim Einsatz von Onlinediensten und auch die Kontrollmöglichkeiten transparent und nachvollziehbar für alle geregelt. Eine solche Richtlinie ist nicht Kür, sie gehört in Zeiten der Arbeitswelt 4.0 zum Pflichtprogramm. Wo ein Betriebsrat existiert, wird sie am besten gleich als Betriebsvereinbarung gestaltet.
Im Übrigen steht die EGMR-Entscheidung im Einklang mit der Rechtsprechung des BAG zur Kontrolle von Onlinediensten am Arbeitsplatz. Insofern gibt es also diesmal nicht ganz viel Neues aus Straßburg. Aber das muss ja nicht schlecht sein.
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