Im Blickpunkt: Europäische Bankenaufsicht – Rechtsschutzmöglichkeiten
Dr. Simon G. Grieser

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Einleitung

In ihrer Ausgabe vom 03.04.2015 titelte die Börsen-Zeitung „L-Bank klagt gegen EZB-Aufsicht – Erstes Verfahren in Europa“.

Die L-Bank setzte juristische Mittel gegen den Beschluss der Europäischen Zentralbank (EZB), das Institut der direkten EZB-Aufsicht zu unterstellen, ein. Die Förderbank von Baden-Württemberg argumentierte, dass die EZB große, komplexe und international tätige Institute in Europa nach einheitlichen Kriterien effektiv überwachen solle. Als regional agierendes Institut mit einem risikoarmen Fördergeschäft und einer Garantie des Landes Baden-Württemberg erfülle die L-Bank diese Kriterien aber nicht. Die mit der EZB-Aufsicht verbundenen „erheblichen bürokratischen Anforderungen und Kosten“ gingen zu Lasten des Fördergeschäfts. Angemessen seien die Kontrollen durch die Deutsche Bundesbank und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.

Daraus wird deutlich, dass Fragen der Justitiabilität von (Exekutiv-)Maßnahmen der EZB für die Akteure in den europäischen Finanzmärkten erheblich an Bedeutung gewonnen haben.

Mit der Frage der Rechtsschutzmöglichkeit verknüpft sich zunächst die Frage, wer gegen Einzelmaßnahmen der EZB gerichtlich vorgehen kann. Denkbar sind sowohl nationale Aufsichtsbehörden als auch von der EZB beaufsichtigte Kreditinstitute. Im Folgenden soll der Schwerpunkt der Betrachtung auf Rechtsschutzmöglichkeiten der betroffenen Institute gelegt werden.

Vorverfahren

Erlässt die EZB im Rahmen ihrer Befugnisse in der Bankenaufsicht eine Maßnahme gegen Institute, haben diese die Möglichkeit, mittels einer Beschwerde dagegen vorzugehen. Die EZB hat zu diesem Zweck einen Administrativen Überprüfungsausschuss eingerichtet, der eine interne Überprüfung der verfahrensmäßigen und materiellen Übereinstimmung der Beschlüsse mit der Verordnung (EU) 1024/2013 des Rates vom 15.10.2013 [SSM-Verordnung: Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 vom 15.10.2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank (ABl. L 287 vom 29.10. 2013, S. 63)] vornimmt.

Der Ausschuss besteht aus fünf Mitgliedern, die über einschlägige Qualifikationen verfügen müssen und nicht zum Personal der EZB oder einer anderen nationalen oder europäischen Einrichtung gehören dürfen, sofern sie sich mit Aufgaben der Bankenaufsicht nach der SSM-Verordnung befassen. Die Beschlussfassung im Ausschuss erfolgt mit der Mehrheit der Mitglieder.

Beschwerdegegenstand ist jeder Beschluss, den die EZB auf Grundlage der SSM-Verordnung erlässt. Erhoben werden kann die Beschwerde von jeder natürlichen oder juristischen Person, gegen die der Beschluss gerichtet ist oder die von ihm unmittelbar und individuell betroffen ist (Beschwerdebefugnis). Der Antrag ist innerhalb einer Frist von einem Monat ab Bekanntgabe des Beschlusses oder Kenntniserlangung schriftlich zu stellen.

Gemäß Art. 9 Abs. 1 des Beschlusses der Europäischen Zentralbank vom 14.04.2014 zur Einrichtung eines Administrativen Überprüfungsausschusses und zur Festlegung der Vorschriften seiner Arbeitsweise (EZB/2014/16: ABl. L 175/47 vom 14.06.2014) haben Anträge zur Überprüfung von Entscheidungen der EZB keine aufschiebende Wirkung für den Vollzug des angefochtenen Beschlusses. Der EZB-Rat kann aber den Vollzug des angefochtenen Beschlusses aussetzen.

Ist der Antrag zulässig, gibt der Ausschuss innerhalb von zwei Monaten eine Stellungnahme ab, die er an den Antragsteller und das Aufsichtsgremium weiterleitet, das wiederum dem EZB-Rat einen neuen Beschlussentwurf unterbreitet. Dieser gilt als angenommen, wenn der EZB-Rat nicht innerhalb von zehn Arbeitstagen widerspricht.

Klagearten

Sofern in dieser Verfahrensstufe dem Anliegen aus Sicht des Beschwerten nicht abgeholfen wird, kann dieser gerichtliche Schritte einleiten. Die SSM-Verordnung belässt es insoweit bei einem einfachen Verweis auf die Klagemöglichkeit(en) vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG). Daher können auch die Rechtsprechungsgrundsätze übertragen werden, die die EU-Judikatur für (Individual-)Nichtigkeitsklagen entwickelt hat.

Bei der Nichtigkeitsklage [Art. 263 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)] sind zwei Konstellationen denkbar, die je nach Klagegegenstand unterschiedliche Verfahrensvoraussetzungen nach sich ziehen:

zum einen die gegen Beschlüsse des Beschwerdeausschusses der EZB gerichtete Klage, zum anderen sonstige Maßnahmen der EZB als Gegenstand und Grund der Klage.

Beschlüsse des Beschwerdeausschusses sind vor dem EuG mit der Nichtigkeitsklage anfechtbar. In deutlicher Parallele zum deutschrechtlichen Widerspruchsverfahren [§§ 68 ff. Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)] wird die Beschwerde vor dem Beschwerdeausschuss der European Banking Authority (EBA) als verwaltungsbehördliches Vorverfahren damit zur regelmäßigen Sach­urteilsvoraussetzung einer Nichtigkeitsklage, die von „jeder natürlichen oder juristischen Person“ erhoben werden kann. Der angegriffene Beschluss muss zudem entweder an den Kläger adressiert sein (Art. 263 Abs. 4 AEUV) oder aber diesen unmittelbar und individuell betreffen.

Für Klagen gegen Beschlüsse der EZB ist kein zwingendes Vorverfahren vorgesehen, eine vorherige Befassung des administrativen Überprüfungsausschusses ist nicht verpflichtend. Eine Klage müsste gemäß Art. 263 Abs. 6 AEUV binnen zwei Monaten ab Mitteilung an die Klägerin beim EuG, dem zuständigen Gericht, eingereicht werden. Die Klageschrift hat unter anderem den Streitgegenstand, eine Darstellung der Klagenden, die Anträge und die erforderlichen Beweismittel aufzuführen. Gegen eine Entscheidung des EuG können Rechtsmittel beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingelegt werden, diese wären jedoch auf die Überprüfung von Rechtsfragen beschränkt.

Handelt die EZB nicht, obwohl sie hätte handeln müssen, so kann Untätigkeitsklage (Art. 265 AEUV) erhoben werden. Diese steht primär den Mitgliedstaaten und den Organen der EU zu. Natürliche und juristische Personen oder nationale Aufsichtsbehörden können nur unter den erweiterten Voraussetzungen von Art. 265 Abs. 3 AEUV Untätigkeitsklage erheben.

Eine solche Klage könnte etwa damit begründet werden, dass die EZB nicht gegen eine Verletzung von Unionsrecht durch einen anderen Mitgliedstaat eingeschritten ist.

Kosten

Vor den europäischen Gerichten sind die Verfahren grundsätzlich gerichtskostenfrei (Art. 90 VerfO-EuG; Art. 143 VerfO-EuGH). Anders als vor nationalen Gerichten werden somit grundsätzlich keine Gerichtskosten fällig. Die gemäß Art. 81 VerfO-EuG/Art. 87 VerfO-EuGH mit dem Urteil zu treffende Kostenentscheidung regelt primär die Kostenverteilung der außergerichtlichen Kosten der Parteien. Hierbei trägt dem Grundsatz nach die unterlegene Partei die Kosten. Von der Kostenschätzung erfasst sind in der Regel nur die durch das gerichtliche Verfahren, nicht die durch ein etwaiges vorgelagertes Verwaltungsverfahren entstandenen Kosten. Das Gericht trifft grundsätzlich nur eine Entscheidung über die Kostenverteilung, eine Entscheidung über die zu erstattenden Kosten ergeht nur auf Antrag in einem nachgelagerten Kostenfestsetzungsverfahren, sofern sich die Parteien über die Kostenhöhe nicht einigen konnten. Aufgrund des Fehlens einer Gebührenordnung oder vergleichbarer Regelungen auf europäischer Ebene kann dies im Einzelfall zu erheblichen Problemen führen. Zu beachten ist, dass nationale Gebührenordnungen oder eine konkret geschlossene Mandatsvereinbarung mit rechtlichen Beratern für die gerichtliche Feststellung der „für das Verfahren notwendigen“ Kosten keine Relevanz haben. Vielmehr berücksichtigen die erkennenden Richter in dem ihnen zustehenden weiten Ermessen beispielsweise die (europa-)rechtliche Bedeutung des Rechtsstreits, den Umstand, ob Rechtsfragen erstmals vor Gericht verhandelt werden, deren Komplexität und den erforderlichen Arbeitsaufwand der Prozessvertreter, aber auch die wirtschaftliche Bedeutung des Verfahrens für die Parteien.

Europäische oder auch nationale Institutionen lassen sich üblicherweise vor dem EuG oder dem EuGH nicht oder nur eingeschränkt durch externe Anwälte vertreten. Die im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens von Mitarbeitern der Unionsorgane erbrachte Arbeitszeit gilt als nicht erstattungsfähig, da diese Leistung als Teil ihrer Aufgaben im öffentlichen Dienst angesehen wird. Folglich trägt die unterlegene Partei nicht die Kosten für die Arbeitszeit von Unionsmitarbeitern. Allerdings wären Kosten, die den Unionsorganen im Fall einer – eigentlich nicht gesetzlich vorgeschriebenen – anwaltlichen Vertretung entstehen, nach den gleichen Vorgaben zu ersetzen, die für die übrigen Parteien gelten.

Vorläufiger Rechtsschutz

Gerade im Bereich der Finanzmärkte spielt der Aspekt des vorläufigen Rechtsschutzes eine besondere Rolle, da die Märkte von den Akteuren ständig Handlungs- und Transaktionsbereitschaft fordern und ein Abwarten der Hauptsachenentscheidung gegebenenfalls mit erheblichen finanziellen Risiken – nicht nur für private Marktteilnehmer – verbunden sein kann. Die Beschwerdeverfahren der EZB weisen insoweit eine Besonderheit auf, denn die Erhebung der Beschwerde hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Der EZB-Rat kann mit Blick auf Beschwerden vor dem Administrativen Überprüfungsausschuss den Vollzug des angefochtenen Beschlusses lediglich aussetzen und die aufschiebende Wirkung auf Antrag anordnen, wenn die „Umstände dies seiner Auffassung nach erfordern“.

Entsprechendes gilt auch für das Verfahren vor dem EuG. Allerdings ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vor den europäischen Gerichten eher restriktiv gehandhabt wird (Rengeling/Middeke/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 3. Auflage 2014, § 19 Rz. 24).

Fazit

Es zeigt sich, dass aufgrund der „neuen“ Aufsicht durch die EZB auch ein neues Rechtsschutzsystem eingeführt wurde, mit dem sich die Marktteilnehmer vertraut machen müssen.

sgrieser@reedsmith.com

 

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