Fortbildung in einer internationalen Großkanzlei: das Beispiel Orrick, Herrington & Sutcliffe
Von Dr. Wilhelm Nolting-Hauff und Dr. Karsten Faulhaber

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Einleitung

Alle internationalen Großkanzleien stehen bei der Ausbildung der jungen Kolleginnen und Kollegen (notabene: Orrick fördert aktiv Diversity mit gleicher Wertschätzung für Frauen und Männer. Allein aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir im Folgenden meist die männliche Bezeichnung) vor großen Herausforderungen. Die umworbenen Mandanten stellen hohe Anforderungen an die Qualität der Beratung über alle Senioritätsstufen hinweg. Auch der umworbene Spitzennachwuchs hat hohe Ansprüche an sein Arbeitsumfeld und gerade beim Berufseinstieg an die Qualität seiner weiteren Ausbildung. Die Kanzleien müssen daher diese Herausforderung annehmen, um den hohen eigenen Qualitätsansprüchen zu genügen und im vielbeschworenen War for Talents bestehen zu können.
In diesem Beitrag wird vorgestellt, wie die Kanzlei Orrick, Herrington & Sutcliffe dieser Herausforderung begegnet. Unter Recruitinggesichtspunkten muss sie sich hierbei vielleicht noch mehr als mancher Wettbewerber anstrengen. Denn Orrick kann zwar auf eine mehr als 150-jährige Tradition zurückschauen und berät heute mit etwa 1.100 Anwälten an 26 Standorten weltweit Mandanten in den wirtschaftsrechtlichen Kerngebieten M&A/Corporate, Litigation, Energy & Infrastructure, Finance und IP. Den deutschen Markt hat die Kanzlei allerdings erst im Jahr 2008 durch die Fusion mit Hölters & Elsing betreten. Deshalb ist die Marke „Orrick“ hierzulande bei Berufsanfängern immer noch nicht so bekannt, wie es die Bedeutung der Kanzlei auf dem internationalen Markt erwarten ließe.

Druck von allen Seiten

Mandanten internationaler Großkanzleien haben regelmäßig hohe Ansprüche und Erwartungen. Sie denken nicht in Rechtsordnungen und Rechtsgebieten, und sie verlangen Berater, die ihre Denkweise verstehen. Die Berater sollen, ausgehend von dem Geschäftsmodell, der Unternehmensstrategie und den zur Umsetzung notwendigen taktischen Schritten, selbständig ermitteln, was der Mandant braucht. Das gilt in besonderem Maße für internationale Wachstumsunternehmen, auf deren Beratung sich Orrick spezialisiert hat.

Diese Ansprüche muss daher auch der juristische Nachwuchs bei der Mandatsarbeit erfüllen. Die akademische und staatliche Juristenausbildung ist aber nur begrenzt in der Lage, im erforderlichen Umfang betriebswirtschaftliche Kenntnisse oder die für eine erfolgreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit in immer wieder wechselnden Teams erforderlichen „Soft Skills“ zu vermitteln. Hier müssen die Kanzleien selbst ansetzen. „Man kann als Anwalt einen Onlinehändler bei seinen internationalen Expansionsplänen nur dann optimal beraten, wenn man sich dem Thema E-Commerce nicht zuvorderst von der juristischen Seite nähert, sondern wenigstens in Grundzügen versteht, wie E-Commerce-Strategien ökonomisch und technologisch erfolgreich sein können“, betont Dr. Albrecht von Breitenbuch, ein auf Start-ups spezialisierter Anwalt im Berliner Büro von Orrick. Nur stehen solche Themen selten auf den Lehrplänen in der Juristenausbildung. Gleichzeitig sind Mandanten wenig geneigt, die nichtjuristische Lernkurve von Berufsanfängern mit hohen Stundensätzen zu vergüten.

Aber auch aus einem anderen Grund steigen die Anforderungen der Anwaltsausbildung in internationalen Großkanzleien. Der öffentliche Sektor nimmt weiterhin einen Großteil des Topjuristennachwuchses auf. Auch sonst gibt es reichlich alternative Betätigungsfelder für die besten Juristen eines Jahrgangs. Die Anziehungskraft des Karriereziels der Aufnahme in die Partnerschaft in einer Großkanzlei hat nachgelassen. Denn junge Juristen wissen mittlerweile sehr genau, wie groß oder eben klein ihre Aussichten sind, eines Tages in den Kreis der Partner aufgenommen zu werden. Möglicherweise hat es hier auch einen Struktur- und Wertewandel über die Juristengenerationen hinweg gegeben, wonach es für viele gar nicht mehr erstrebenswert erscheint, Partner zu werden. Dieses Thema ist schon an anderer Stelle diskutiert worden und soll hier nicht vertieft werden. Die Kanzleien müssen den anspruchsvollen, hochqualifizierten Nachwuchs, der sich seinen Arbeitgeber oft aussuchen kann, jedenfalls auch mit anderen Argumenten überzeugen. Dazu gehören insbesondere attraktive fachliche und fachübergreifende Entwicklungsmöglichkeiten. Dr. Oliver Duys, Co-Managing Partner von Orrick in Deutschland, fasst dies wie folgt zusammen: „Keine internationale Großkanzlei kann heute einem Berufsanfänger eine lebenslange Beschäftigung garantieren. Was wir aber leisten können und müssen, ist eine Ausbildung, die auf internationalem Niveau eine lebenslange Beschäftigungsfähigkeit garantiert.“

Der Versuch einer Antwort

Was also tun, um zum einen die eigenen Nachwuchskräfte auf einem Topniveau auszubilden und zum anderen die ökonomischen Rahmenbedingungen einer international agierenden Kanzlei nicht außer Acht zu lassen? Orrick, Herrington & Sutcliffe begegnet dieser Herausforderung durch eine formalisierte Anwaltsausbildung, deren Elemente im Folgenden kurz dargestellt werden. Diese Elemente sind:

  • die nationale Orrick-Hausakademie;
  • die internationalen Trainingsmodule und
  • individualisierte Fortbildungsmöglichkeiten.

Nicht weiter vertieft wird das vielzitierte „Training on the Job“, das bei Orrick in Deutschland aufgrund des gerade im Vergleich zu den Wettbewerbern zahlenmäßig sehr niedrigen Verhältnisses von Associates zu Partnern besonders intensiv ist und durch eine Reihe von Mentoring- und sogenannten Shadowing-Programmen ergänzt wird.

Die Orrick-Hausakademie

Die Orrick-Hausakademie findet mindestens einmal monatlich in Form von 90- bis 120-minütigen Trainings statt. Die Trainings werden vom Veranstaltungsort in die anderen Orrick-Büros in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main und München übertragen. Das Konzept setzt auf Interaktion der Teilnehmer, und der Inhalt der Veranstaltungen ist sehr vielfältig.

Beispielsweise werden regelmäßig klassische juristische Themen der anwaltlichen Beratungspraxis behandelt. Erfahrene Kollegen aus den nationalen und internationalen Büros von Orrick geben einen Überblick über ihr Fachgebiet oder berichten über aktuelle Trends im Markt oder in der gerichtlichen Entscheidungspraxis. Dieser Austausch ist zentral. Gerade die komplexeren Fragestellungen der Mandanten lassen sich oftmals nicht trennscharf einem Fachbereich zuordnen. So können die Spezialisierung vieler deutscher Anwälte und die Organisationsstruktur spezialisierter Kanzleien an Grenzen stoßen. Fragt man hingegen erfolgreiche Anwälte aus dem Silicon Valley, was sie machen, hört man oftmals „I am a technology lawyer“. Natürlich hat auch dort jeder seine Spezialisierung. Es gehört aber zum Selbstverständnis, dass man schnell wachsende Technologieunternehmen nur dann vernünftig beraten kann, wenn man wenigstens ein Grundverständnis aller wesentlichen für diese Mandantengruppe relevanten Rechtsgebiete hat. Wichtig für die Praxis bei Orrick ist auch die Arbeit in ständig wechselnden, mandatsbezogen zugeschnittenen Teams. Da muss sich der Steuerrechtler in die Immobilientransaktion ebenso einfügen, wie der eben noch federführende Immobilienrechtler seine Expertise in den Bereich Litigation einbringen muss. Nur wer über möglichst viele Schnittstellen zu anderen Fachbereichen verfügt, kann die vielen juristischen Herausforderungen des Mandanten rechtzeitig erkennen, im Einklang mit der Strategie des Mandanten managen und bei Bedarf gezielt Expertenrat hinzuziehen und in den Teams fachübergreifend zusammenarbeiten.

Neben diesen klassischen juristischen Lehrinhalten stehen betriebswirtschaftliche Fortbildungen. Erst kürzlich wurden in Kooperation mit einer internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft verschiedene Methoden der Unternehmensbewertung dargestellt. Außerdem – und hier mag Orrick über das hinausgehen, was auch andere Kanzleien anbieten – kommt der Vermittlung von „Leadership Skills“ eine große Bedeutung zu. Externe Dozenten schulen die jungen Kollegen in Themen wie Achtsamkeit, Feedbackkultur oder Empathie. Für den Frühsommer ist zudem ein Workshop mit dem Bestsellerautor und Managementexperten Veit Etzold zum Thema „Story Telling“ geplant, einer für die heutige Berufswelt zentralen Kommunikationskompetenz.
Internationale Trainingsmodule

Die Orrick-Hausakademie wiederum ist eingebunden in eine Reihe von internationalen Trainingsmodulen, welche auch die frühzeitige Vernetzung der jungen Anwälte mit den Kollegen aus Europa, den USA, Asien und Afrika fördern. Hier gibt es beispielsweise mehrtägige Re­treats für alle Managing Associates aus den europäischen Standorten in London und Paris.
Für die an der Schwelle zur Partnerschaft stehenden Senior Associates gibt es zudem die Orrick Senior Academy, die zweimal im Jahr in San Francisco und New York stattfindet. Die Orrick Senior Academy ist ein gemeinsam mit Fullbridge (einem Ableger der Universität Harvard und international führenden Anbieter von Fortbildungsveranstaltungen für Führungskräfte) organisierter mehrwöchiger Intensivlehrgang zu Business und Leadership Skills.

Individualisierte Fortbildungsmöglichkeiten

Um den besonderen Neigungen und Wünschen junger Kollegen zu entsprechen oder auf ihrem Karriereweg schon weiter fortgeschrittene, besonders vielversprechende Talente für sich zu gewinnen, bietet Orrick ferner eine Reihe individualisierter Fortbildungsmöglichkeiten. Diese reichen von der Fachanwaltsausbildung über externe Seminare und Lehrgänge bis hin zu Secondments im In- und Ausland. In enger Kooperation mit dem innovativen Berliner Think-Tank „stiftung neue verantwortung“ stehen den Anwälten auch interdisziplinäre Projektarbeit und Fortbildungsangebote offen. Hier treffen die Anwälte auf den Führungsnachwuchs aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Verwaltung, um sich themenbezogen auszutauschen.

Von dieser Flexibilität hat beispielsweise Dr. Sven Greulich aus dem Düsseldorfer Büro von Orrick profitiert, der sich auf die Beratung von Technologieunternehmen und Venture-Capital-Transaktionen spezialisiert hat: „Ich habe mich bei meinem Wechsel 2012 für Orrick entschieden, weil mir Orrick die Möglichkeit gab, berufsbegleitend einen Executive MBA an der Kellogg School of Management und der WHU Otto Beisheim School of Management zu absolvieren. Ein solches Programm an zwei der besten Universitäten für Entrepreneurship war für mich als Technology Lawyer natürlich ein Traum.“

Zusammenfassung

Orricks Weiterbildungsprogramm fokussiert sich auf drei Bereiche: Recht, Wirtschaft und Soft Skills. Denn bei komplexen wirtschaftsrechtlichen Fragestellungen erwarten ihre Mandanten nicht nur eine fundierte juristische Expertise, sondern auch ein umfassendes Verständnis betriebswirtschaftlicher Zusammenhänge und kaufmännischer Entscheidungssituationen, eingebettet in ein interkulturelles Verständnis, wie es in der akademischen und staatlichen deutschen Juristenausbildung üblicherweise nicht vermittelt wird.
Die im Anwaltsmarkt entwickelten Antworten auf die eingangs geschilderten Herausforderungen sind vielfältig. Auch bei Orrick sind die vorhandenen Weiterbildungsangebote ständig auf dem Prüfstand. Sicher ist insofern nur, dass die praxisbezogene Ausbildung (Training on the Job) allein heute nicht mehr ausreicht, um den Erwartungen der Mandanten und der Nachwuchsjuristen gerecht zu werden.

Hinweis der Redaktion:
Den „richtigen“ Nachwuchs zu finden, zu fördern und zu binden – das ist eine der wichtigsten HR-Herausforderungen für Kanzleien und Rechtsabteilungen. Im Deutschen AnwaltSpiegel stellen wir daher zukünftig in loser Folge einige der im Rechtsmarkt praktizierten Aus- und Fort­bildungskonzepte vor.

wnolting-hauff[at]orrick.com
kfaulhaber[at]orrick.com

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