BAG entscheidet über die Zulässigkeit einer beiderseitigen dreijährigen Kündigungsfrist
Von Stephanie Simokat
Einleitung
Das BAG hatte im Oktober 2016 einen Sachverhalt zur Entscheidung vorliegen, bei dem es um die Frage der Zulässigkeit einer dreijährigen Kündigungsfrist im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses ging. Der Arbeitnehmer sah sich nicht an diese Kündigungsfrist gebunden und wollte sich kurzfristiger aus dem Arbeitsverhältnis lösen. Dagegen wandte sich der Arbeitgeber mit seiner Klage.
Sachverhalt
Der Arbeitnehmer stand seit Ende 2009 als Speditionskaufmann in einem Beschäftigungsverhältnis mit dem Beklagten. Er erhielt ein festes Bruttomonatsentgelt in Höhe von 1.400 Euro. Zusätzlich erhielt er bei einem vom ihm erzielten Reinerlös in Höhe von 10.000 Euro im Monat eine Provision in Höhe von 600 Euro brutto monatlich. Die vereinbarte vertragliche Kündigungsfrist betrug vier Wochen zum Monatsende.
Im Juni 2012 schlossen die Arbeitsvertragsparteien eine Zusatzvereinbarung zu dem Arbeitsvertrag. Diese enthielt eine Gehaltserhöhung um 1.000 Euro und eine neue Provisionsregelung – der Arbeitnehmer sollte bei einem Reinerlös von 20.000 Euro pro Monat 400 Euro brutto monatlich zusätzlich erhalten. Diese Gehaltserhöhung sollte bis zum 30.05.2015 unveränderlich sein. Eine spätere Neufestsetzung sollte sodann wiederum mindestens zwei Jahre unverändert bestehen. Zudem wurde die Kündigungsfrist beiderseitig auf die Dauer von drei Jahren angehoben. Ferner enthielt die Zusatzvereinbarung folgende Klausel: „Die Parteien sind sich einig, dass diese Vereinbarung zwischen ihnen individuell ausgehandelt wurde“.
Ende 2014 kündigte der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von vier Wochen zum 31.01.2015. Hintergrund war, dass der Kläger auf den PCs der Mitarbeiter eine Überwachungssoftware installiert hatte. Daraufhin kündigten sechs Mitarbeiter – unter anderem der Beklagte.
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht. Er vertritt die Auffassung, der Beklagte habe nur mit einer Frist von drei Jahren kündigen können, das heißt zu Ende 2017, so dass das Arbeitsverhältnis immer noch fortbestehen würde.
Rechtliche Einordnung
Im Kern ging es in der Entscheidung um die Frage, ob eine dreijährige Kündigungsfrist mit den Grundsätzen des § 307 Abs. 1 BGB vereinbar ist. Dies wurde bereits von der Vorinstanz, dem LAG Chemnitz, verneint.
Das LAG Chemnitz prüfte, ob die dreijährige Kündigungsfrist mit § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB vereinbar ist. Zunächst bejahte es die Anwendbarkeit der Inhaltskontrolle vor dem Hintergrund des § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB.
Knackpunkt war dabei die Frage des „Aushandelns“. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB sieht vor, dass die §§ 305 BGB ff. auch dann auf vorformulierte Vertragsbedingungen Anwendung finden, wenn diese nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind, soweit der Verbraucher aufgrund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte.
Das LAG Chemnitz bejahte zunächst das Vorliegen eines Verbrauchervertrags im Sinne des § 310 Abs. 3 Satz 1 BGB. Bei dem Kläger handele es sich um ein Unternehmen, und der Beklagte sei als Arbeitnehmer anerkanntermaßen auch Verbraucher beim Abschluss seines Arbeitsvertrags. Ferner seien die Bedingungen vorformuliert gewesen, da der Geschäftsführer des Klägers diese dem Beklagten vorgelegt habe. Als problematisch erwies sich die gewählte Formulierung in der Zusatzvereinbarung, nach der diese „individuell ausgehandelt“ wurde. Der Kläger berief sich darauf, der Beklagte habe den Wunsch nach Arbeitsplatzsicherheit geäußert. Allerdings legte er nicht dar, dass der Beklagte sowohl hinsichtlich des Gehalts als auch hinsichtlich der Dauer der Kündigungsfrist konkrete Vorstellungen genannt hätte. Dies wäre jedoch, so das LAG, für eine „Einflussnahme“ im Sinne des § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB erforderlich gewesen. Dafür müsste der Inhalt der Klausel ernsthaft zur Disposition gestellt werden, so dass sich der Verwender, hier der Kläger, ernsthaft und deutlich zu etwaigen Änderungen bereit erklärt habe und sich der Vertragspartner dessen bewusst gewesen sei. So war es nach Ansicht des LAG Chemnitz vorliegend nicht. Die in der Zusatzvereinbarung festgeschriebene Rechtsmeinung der Parteien hindere das Gericht nicht, diese anders zu beurteilen.
Sodann nahm das LAG Chemnitz eine Inhaltskontrolle der Klausel vor, die die beiderseitige dreijährige Kündigungsfrist enthält. Nach Ansicht des LAG Chemnitz, die durch das BAG bestätigt wurde, verstößt eine derart lange Kündigungsfrist gegen das Verbot unangemessener Benachteiligung aus §§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB. Der Kläger habe es vorliegend unterlassen, die Belange des Beklagten ausreichend zu berücksichtigen und einen angemessenen Ausgleich zu gewähren. Während das Arbeitsgericht Leipzig noch eine Nachteilsausgleichung auf Seiten des Beklagten durch die Sicherheit des langfristigen Weiterbestehens des Arbeitsverhältnisses gesehen hatte, beurteilte das LAG Chemnitz die lange Kündigungsfrist als eine unzulässige Beschneidung der Rechte des Beklagten. Darin läge eine „Übersicherung“ der auf Klägerseite schützenswerten Interessen. Eine Bindung über einen Zeitraum von drei Jahren, verbunden mit der arbeitsgeberseitigen Freistellungsmöglichkeit, führt nach Auffassung des LAG Chemnitz zu einer Benachteiligung des Arbeitnehmers, der im vorliegenden Fall kein angemessener Ausgleich entgegenstünde. Die bei einer Eigenkündigung bestehenden Risiken würden nicht ausreichend kompensiert. Ein Speditionskaufmann werde in der Regel nicht für eine Einstellung in drei Jahren gesucht, sondern entweder sofort oder aber nur geringfügig in der Zukunft – daher scheidet nach Ansicht des LAG Chemnitz eine Bewerbung auf einen gewöhnlichen Arbeitsplatz für den Beklagten aus. Kündige er selber, so bestünde nicht nur die Gefahr, dass er ein künftiges Arbeitsverhältnis nicht planen könne, da er auf diese Dauer keine neue Zusage erhalten würde, er liefe ebenso Gefahr, eine zwölfwöchige Sperrzeit beim Arbeitslosengeld und eine Minderung der Anspruchsdauer wegen Arbeitsaufgabe nach §§ 148, 159 SGB III zu erhalten.
Ferner führe die dreijährige Kündigungsfrist dazu, dass der Beklagte in dieser Zeit weder eine Vergütungserhöhung bekommen noch durch die Klägerin fortgebildet würde. Die Abkopplung von der allgemeinen Gehaltsentwicklung könne bei dem streitgegenständlichen Gehalt durchaus zu spürbaren Auswirkungen führen, wenn der Arbeitgeber auf eine etwaige Inflationsrate nicht reagiere. Zudem könne davon ausgegangen werden, dass die Klägerin den Beklagten aufgrund der Freistellungsklausel freistellen würde, so dass er seiner Tätigkeit über einen dreijährigen Zeitraum nicht nachgehen könne. Eine Freistellung über einen derart langen Zeitraum komme einer Langzeitarbeitslosigkeit gleich. Auch Artikel 12 Abs. 1 GG verbiete eine unzumutbare Erschwerung des Arbeitsplatzwechsels. Weder der Vergleich mit § 15 Abs. 4 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) noch mit § 622 Abs. 6 BGB führe zu einer anderen Bewertung. Zwar handele es sich dabei um zulässige Gestaltungsmittel, allerdings müsse es sich im Einzelfall unter Abwägung der Gesamtumstände um eine angemessene Bindung handeln. Dies sei hier aber aus den genannten Gründen nicht der Fall. Das LAG Chemnitz führte weiterhin aus, die schützenswerten Interessen des Arbeitgebers würden hier keine andere Beurteilung rechtfertigen. Auch die vom Kläger dargestellte Konkurrenzsituation ändere daran nichts. Es seien weder besondere Spezialkenntnisse des Beklagten dargelegt worden noch, dass Arbeitnehmer wie der Beklagte besonders langfristig eingearbeitet werden müssten.
Ferner komme eine dreijährige Kündigungsfrist, verbunden mit einer Freistellung, einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot nahe. Ein solches dürfe jedoch nach § 74a Abs. 1 Satz 3 HGB nicht länger als für zwei Jahre vereinbart werden. Gleiches müsse hier gelten. Aufgrund des langen Zeitraums, in dem der Arbeitnehmer bei einer dreijährigen Freistellung nicht für den Arbeitgeber tätig sei und über kein aktuelles Wissen mehr verfüge, das er mit zu einem Konkurrenzunternehmen nehmen könne, sei eine Vergleichbarkeit zu bejahen.
Die mit der verlängerten Kündigungsfrist einhergehende Erhöhung der Vergütung ist nach Ansicht des LAG nicht geeignet, die dargestellten Nachteile zu kompensieren. Zwar sei eine Gehaltserhöhung um 1.000 Euro erheblich, allerdings sei der Ausgangsbetrag nicht besonders hoch, so dass sich keine besonders hohe Vergütung im Ganzen ergebe. Zudem spreche der Vortrag des Klägers selbst dafür, dass die Gehaltserhöhung nicht als Kompensation für die verlängerte Kündigungsfrist gedacht gewesen sei, sondern vielmehr für eine – vermeintlich – übertragene Zusatzaufgabe.
Sicht des BAG
Das BAG hat das Urteil des LAG Chemnitz bestätigt. In der bisher nur veröffentlichten Pressemitteilung wurde darauf hingewiesen, dass die dreijährige Kündigungsfrist gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB verstoße, da sie den Beklagten unangemessen benachteilige. Zwar halte sie die Grenzen der § 15 Abs. 4 TzBfG sowie § 622 Abs. 6 BGB ein, allerdings sei sie wesentlich länger als die Regelfrist des § 622 Abs. 1 BGB. Das BAG nahm eine Gesamtabwägung aller im Einzelfall relevanten Umstände vor und prüfte unter Beachtung von Artikel 12 Abs. 1 GG, ob die berufliche Bewegungsfreiheit zu sehr eingeschränkt sei. Dies wurde bejaht. Auch nach Ansicht des BAG war die Gehaltserhöhung nicht geeignet, die Nachteile auszugleichen, besonders, weil die Höhe der Vergütung auf recht lange Sicht festgelegt war.
Fazit
Hinter diesem grundsätzlich begrüßenswerten Urteil steht die äußerst interessante Frage, wie lange ein Arbeitgeber Arbeitnehmer unter welchen Voraussetzungen an sich binden kann. Wurden bisher Kündigungsfristen, die sich in den Grenzen des § 15 Abs. 4 TzBfG sowie des § 622 Abs. 6 BGB hielten, überwiegend für zulässig erachtet, sofern sie für beide Arbeitsvertragsparteien galten, wird dies künftig nicht mehr der Fall sein. Es wird stets eine Gesamtabwägung der Umstände im Einzelfall erforderlich sein, bei der sowohl das Gehalt als auch die Tätigkeit als solche beleuchtet werden müssen. Richtig ist, dass dies durchaus bei „herausgehobenen Positionen in Wissenschaft und Wirtschaft“, wie sie das LAG Chemnitz bezeichnete, anders zu beurteilen sein dürfte. Ein Arbeitgeber wartet in der Regel nicht länger als den üblichen Lauf der Kündigungsfrist auf neue Arbeitnehmer – er könnte es sich im Zweifel gar nicht erlauben, die Stelle jahrelang unbesetzt zu halten. Der Vergleich mit dem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot erscheint treffend. Daran gemessen, wäre eine Bindungsdauer von zwei Jahren angemessen. Möglicherweise geben die Entscheidungsgründe des LAG weitere Anhaltspunkte für die Beantwortung der Frage, wie lange der Arbeitnehmer gebunden werden darf.