AGG: Zusätzliche Urlaubstage für ältere Arbeitnehmer können zulässig sein
Von Dr. Erik Schmidt
Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sind Arbeitnehmer – ohne Ansehen ihres Alters – gleich zu behandeln, es sei denn, es liegt eine zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters vor (§ 10 AGG). Eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters ist zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die (un-)gleiche Behandlung von jüngeren und älteren Arbeitnehmern betrifft sämtliche Bereiche des Arbeitsrechts und ist deshalb ein Dauerthema in der Rechtsprechung. Gegenstand der Entscheidungen waren beispielsweise die Staffelung der Kündigungsfristen nach Dauer der Betriebszugehörigkeit (BAG, Urteil vom 18.09.2014 – 6 AZR 636/13), die Grundvergütung nach Lebensaltersstufen (EuGH, Urteil vom 08.09.2011 – C 207/10, C 208/10), die Eingruppierung des Arbeitnehmers unter ausschließlicher Berücksichtigung unternehmensintern erworbener Berufserfahrung (EuGH, Urteil vom 07.06.2012 – C 132/11), die Stellenausschreibung für „Berufsanfänger“ (BAG vom 24.01.2013 – 8 AZR 429/11), die Sozialauswahl mit Altersgruppen bei betriebsbedingten Kündigungen (BAG, Urteil vom 15.12.2011 – 2 AZR 42/10) oder die altersabhängige Staffelung der Urlaubsdauer (BAG, Urteil vom 20.03.2012 – 9 AZR 529/10). Das BAG hatte sich am 21.10.2014 erneut mit der Frage der Diskriminierung wegen des Alters bei der Gewährung zusätzlicher Urlaubstage für ältere Arbeitnehmer zu befassen.
Sachverhalt
Die nicht tarifgebundene Arbeitgeberin (Beklagte) betreibt unter Einsatz von Maschinen die Montage von Sandalen und Clogs und stellt damit Schuhe her. Die am 10.04.1960 geborene Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 01.07.1994 als produktionsmitarbeitende Kraft beschäftigt. Die Beklagte gewährt allen Arbeitnehmern, die das 58. Lebensjahr vollendet haben, 36 Arbeitstage je Kalenderjahr Urlaub, während die übrigen, d.h. die jüngeren Beschäftigten, 34 Tage Jahresurlaub erhalten. Eine individuelle Vereinbarung über einen höheren Jahresurlaub existiert nicht. Der auf das Arbeitsverhältnis nicht unmittelbar anwendbare Manteltarifvertrag der Schuhindustrie vom 23.04.1997 sieht ebenfalls zwei zusätzliche Urlaubstage ab dem 58. Lebensjahr vor.
Die Klägerin, die das 58. Lebensjahr noch nicht erreicht hat, beantragte, die Beklagte zu verpflichten, ihr ebenfalls 36 Arbeitstage Erholungsurlaub je Kalenderjahr zu gewähren, da die derzeitige Urlaubsregelung altersdiskriminierend sei.
Das BAG wies die Klage ab, ebenso wie zuvor das LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 07.09.2012 – 6 Sa 709/11) und das Arbeitsgericht Koblenz (Urteil vom 18.10.2011 – 8 Ca 1361/11).
Rechtfertigung der altersbedingten Ungleichbehandlung
Die Differenzierung bei der kalenderjährlichen Urlaubsdauer von Arbeitnehmern vor und nach Vollendung des 58. Lebensjahres ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters. Diese unterschiedliche Behandlung kann jedoch durch ein legitimes Ziel, wie das gesteigerte Erholungsbedürfnis älterer Menschen, gerechtfertigt sein. Auch nach Auffassung des BAG im Urteil vom 21.10.2014 kann die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters unter dem Gesichtspunkt des Schutzes älterer Beschäftigter nach § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG zulässig sein, wenn der Arbeitgeber älteren Arbeitnehmern kalenderjährlich mehr Urlaubstage gewährt als jüngeren Arbeitnehmern. Ein solcher, vom Arbeitgeber freiwillig begründeter zusätzlicher Urlaub sei jedoch nur dann zulässig, wenn diese unterschiedliche Behandlung dem Schutz älterer Beschäftigter dient und der zusätzliche Urlaub geeignet, erforderlich und angemessen im Sinne von § 10 Satz 2 AGG ist, um das Schutzziel zu erreichen. Dabei stehe dem Arbeitgeber eine auf die konkrete Situation im Unternehmen bezogene Einschätzungsprärogative zu.
Im Fall der in der Schuhindustrie tätigen Klägerin kommt das BAG zum Ergebnis, dass die Arbeitgeberin ihren Gestaltungs- und Ermessensspielraum nicht überschritten habe. Die Einschätzung der Beklagten sei zutreffend, dass die in ihrem Produktionsbetrieb bei der Fertigung von Schuhen körperlich ermüdende und schwere Arbeit dazu führt, dass die Arbeitnehmer ab einem gewissen Alter (nach Vollendung des 58. Lebensjahres) längere Erholungszeiten als jüngere Arbeitnehmer benötigen. Ebenso sei auch die Annahme der Beklagten in Anlehnung an den Tarifvertrag zutreffend, dass zwei weitere Urlaubstage aufgrund des erhöhten Erholungsbedürfnisses angemessen seien. Das BAG erkennt damit die körperlich ermüdende und schwere Arbeit als legitimen Grund eines gesteigerten Erholungsbedürfnisses älterer Menschen an.
Zusätzlicher Urlaub für ältere Arbeitnehmer nicht in jedem Fall gerechtfertigt
Das BAG hatte sich bereits in der Entscheidung vom 20.03.2012 (9 AZR 529/10) mit der unterschiedlichen Gewährung von Urlaub aus altersbedingten Gründen auseinanderzusetzen. Die in diesem Verfahren streitgegenständliche Regelung des Tarifvertrags für den Öffentlichen Dienst (TVöD) sah vor, dass Mitarbeiter bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres 26 Arbeitstage Urlaub, bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres 29 Arbeitstage Urlaub und nach Vollendung des 40. Lebensjahres 30 Arbeitstage Urlaub gewährt bekommen.
Die Regelung des TVöD hinsichtlich der altersabhängigen Staffelung der Urlaubsdauer ist eine Ungleichbehandlung, die nur zulässig ist, soweit die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters gemäß § 10 AGG gerechtfertigt ist. In diesem Fall sah das BAG – im Gegensatz zum Fall der Schuhproduktion – die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters als nicht gerechtfertigt an. Bei der Regelung des TVöD werde nicht auf die konkrete Art der auszuübenden Tätigkeit abgestellt, sondern sie gelte für alle dem TVöD unterfallenden Beschäftigten. Das BAG hat nicht entschieden, ob der Gesundheitsschutz älterer Arbeitnehmer eine unterschiedliche Behandlung rechtfertige, da die Tarifvorschrift mit der altersabhängigen Staffelung der Urlaubsdauer nicht das Ziel des Gesundheitsschutzes verfolge. Die nicht gerechtfertigte Diskriminierung wegen des Alters wurde durch eine Anpassung „nach oben“ beseitigt. Dies bedeutet, dass sämtliche Mitarbeiter, und damit auch Mitarbeiter vor Vollendung des 40. Lebensjahres, Anspruch auf den maximalen Urlaub in Höhe von 30 Arbeitstagen im Kalenderjahr haben.
Bewertung und Ausblick
Auch in Zukunft wird es – unter anderem beim Urlaub – altersbedingte Ungleichbehandlungen geben. In jedem Einzelfall wird in zwei Schritten zu überprüfen sein, ob eine altersbedingte Ungleichbehandlung vorliegt (1. Schritt) und ob diese altersbedingte Ungleichbehandlung gemäß § 10 AGG gerechtfertigt ist (2. Schritt). Dabei ist in jedem Einzelfall darauf abzustellen, ob die Ungleichbehandlung objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist (§ 10 Satz 1 AGG) und ob die Mittel zur Erreichung dieses Ziels nach § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sind.
Es ist bei der Gewährung zusätzlicher Urlaubstage für ältere Arbeitnehmer einerseits zu empfehlen, jeweils auf die konkrete Tätigkeit abzustellen und nicht alle Arbeitnehmer, etwa aus Produktion und Verwaltung, einheitlich zu behandeln. Wie sich aus der Rechtsprechung des BAG ergibt, ist andererseits zu empfehlen, für die unterschiedliche Behandlung keine zu niedrige (etwa 35 Jahre), sondern eine höhere Altersschwelle (etwa 55 Jahre) zu verwenden, da bei jüngeren Menschen ein höherer Erholungsbedarf regelmäßig nicht besteht.
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