Wirtschaftsspionage 2.0: Zwischen Verfolgungsfieber und Verhandlungspragmatismus
Von Dr. Ingo Bott

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Das Ausgangsproblem: „Diebstahl ist billiger als Entwicklung“

Ein Vorsprung an Wissen bedeutet einen Vorsprung im Wettbewerb. Gute Ideen können sprichwörtlich Gold wert sein. Nur: Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Zunehmend scheint es keiner Antwort mehr auf diese Frage zu bedürfen. Zu verlockend wirkt die Alternative nach dem Komma. Die Dimension der Industriespionage zeigt ein Blick auf den der Volkswirtschaft entstehenden Schaden: Der Verfassungsschutz NRW – von dem das Zitat im Titel stammt – beziffert ihn für 2013 auf etwa 50 Milliarden Euro, der Verein Deutscher Ingenieure sogar auf 100 Milliarden Euro pro Jahr. Noch plastischer sind die Zahlen, die der Leiter des Verfassungsschutzes NRW, Burkhard Freier, am 25.06.2014 gegenüber FOCUS Online nannte. Danach wird alle drei Minuten ein deutsches Unternehmen von Wirtschaftsspionen attackiert. Allein in Nordrhein-Westfalen sei jedes zweite Unternehmen bereits Opfer einer Spionageattacke geworden.

Diebesgrüße aus Moskau?

Hinsichtlich des Ursprungs der neuen Dimensionen der Wirtschaftsspionage sind sich die Verfassungsschützer einig: Ein Großteil soll auf China und Russland entfallen. Nicht selten seien auch Nachrichtendienste im Spiel. Laut Freier bemerken die betroffenen Unternehmen einen Angriff in vielen Fällen nicht einmal, dies etwa dann, wenn firmeneigene Virenscanner durch angebliche Sicherheitsupdates kompromittiert werden. Sicher könne sich dabei niemand fühlen. Neben großen Konzernen seien auch mittelständische und kleine Betriebe im Visier der Wirtschaftsspione.

Laut Verfassungsschutz NRW gehen die Spione vor allem auf dreierlei Weise vor: Zunächst sammeln sie offen im Internet erhältliche Informationen. Daneben bewegt sich viel im Bereich des Social Engineering, also des privaten Miteinanders. So kommt es vor, dass über private Mails Trojaner auf den Rechner des Empfängers eingeschleust werden. Eine weitere Informationsquelle sind vor allem Handys, die sich – was viele nicht wissen – selbst dann manipulieren lassen, wenn sie ausgeschaltet sind.

Doch nicht nur seitens der großen (und üblichen) staatlichen Verdächtigen drohen Gefahren. Den eigentlichen Klassiker der Wirtschaftsspionage fasst eine F.A.Z.-Überschrift vom 23.05.2014 zusammen: „Der Feind sitzt im Büro nebenan.“ Tatsächlich sind es häufig unzufriedene Unternehmensmitarbeiter, die sich von der Konkurrenz ködern lassen. Die Mittel der Erkenntnisverschaffung stehen hinter jenen der Nachrichtendienste nur wenig zurück. Mehr noch: Oft haben gerade die Mitarbeiter den einfachsten Zugang zu sensiblen Daten.

Zum Wohle der Volkswirtschaft: Behörden im Verfolgungsfieber

Die genannten Zahlen lassen keinen Zweifel: Wirtschaftsspionage ist ein ernstzunehmendes Phänomen. Auch das Strafrecht sieht sich hier vor besondere Herausforderungen gestellt. In dieser Hinsicht greifen vor allem drei wettbewerbsrechtliche Straftatbestände, die in § 17 UWG normiert sind: Geregelt sind der Geheimnisverrat (§ 17 I UWG), die Betriebsspionage (§ 17 II Nr. 1 UWG) und die Geheimnisverwertung (§ 17 II Nr. 2 UWG). Geschützt ist ein Unternehmen damit grundsätzlich vor einem Verrat von innen wie von außen.

Was auf den ersten Blick umfassend klingt, bringt in der Praxis allerdings einige Unwägbarkeiten mit sich. Denn so konturenscharf die Rechtsprechung den Geheimnisbegriff mittlerweile handhabt, sie kommt an Grenzen, wenn es darum geht, die Tathandlungen trennscharf zu fassen. Zur Unübersichtlichkeit trägt bereits das Gesetz bei, wenn es beispielsweise bei der Geheimnisverwertung nicht ohne einen doppelten Verweis auf vorhergehende Absätze und Nummern auskommt sowie zweimal die Notwendigkeit eines (im Detail unklaren) „unbefugten“ Vorgehens fordert. Da aber auch der Versuch sowie die Auslandstat strafbar sind, drohen auf dem Nährboden des § 17 UWG rasch strafrechtliche Verdachtslagen in alle Richtungen zu sprießen.

Steht ein Unternehmen im Fadenkreuz, können die Konsequenzen dramatisch sein: Aufgeheizt durch alarmierende Medienberichte, verstehen sich manche Ermittler als „weiße Ritter der Volkswirtschaft“ und beginnen Ermittlungsverfahren nicht erst bei einem tatsächlichen Anfangsverdacht, sondern bereits bei bloßen Vermutungen. Wenn hier nicht bereits in einem frühen Stadium gezielt gegengesteuert wird, drohen für beschuldigte Unternehmer rasch erhebliche Belastungen. Öffentlichkeitswirksame Durchsuchungen gehören dabei zur Tagesordnung. Doch nicht nur das: Über die Möglichkeit einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG kann es für ein im Verdacht stehendes Unternehmen selbst dann ans Eingemachte gehen, wenn die Ermittlungen gegen die Organe eingestellt werden.

Ein zweifelhafter Pragmatismus: Die Strafanzeige als Verhandlungsmasse

Auch anderweitig zeigen sich die Konsequenzen der fehlenden Konturenschärfe des § 17 UWG: Immer wieder kommt es im Rahmen harter wirtschaftlicher Auseinandersetzungen zu Strafanzeigen wegen vermeintlicher Wirtschaftsspionage gegen unliebsame Konkurrenten. Insbesondere wenn Unternehmen zuvor projektbezogen Hand in Hand zusammengearbeitet haben, steht aufgrund teilweise gegenseitig zugänglicher Informationen schnell ein Anfangsverdacht im Raum.

Nicht selten wird eine solche Anzeige rein pragmatisch gesehen und dient vor allem kurzfristigen Zielen: Meist geht es darum, den Wettbewerber durch strafprozessuale Maßnahmen, wie etwa Durchsuchungen, zu lähmen. Gelangt der Fall in die Presse, nimmt zudem die Reputation des angegriffenen Wettbewerbers Schaden. Schließlich bringen staatliche Ermittlungen – trotz der Vorgabe, Geheimnisse aus den Akten auszusortieren (Nr. 260b RiStBV) – nicht selten gern wahrgenommene Einsichtsmöglichkeiten in Geschäftsgeheimnisse der Konkurrenz.

Häufig wird dabei zu kurz gedacht: Der vermeintliche Clou, den Strafantrag nach § 17 IV UWG gemäß § 77d StGB zurücknehmen zu können, geht dann nicht auf, wenn die Strafverfolger öffentliches Interesse sehen und die Ermittlungen weitergehen. Regelmäßig vermeidet nur der strukturierte und zielorientierte Austausch mit den Behörden, dass hier nicht eine Entwicklung eingeleitet wird, bei der beide (Verhandlungs-)Parteien am Ende als Verlierer dastehen.

Zusammenfassung und Ausblick

Die aktuellen Zahlen zur Wirtschaftsspionage sind bemerkenswert hoch. Es wundert daher nicht, dass sowohl Unternehmer als auch Ermittlungsbehörden alarmiert sind. Umso wichtiger ist es, nicht in Hysterie zu verfallen, sondern den neuen Herausforderungen strukturiert entgegenzutreten.

Für Unternehmen bedeutet das, dass nicht nur die „Kronjuwelen“-Geheimnisse identifiziert und besonders geschützt werden sollten. Ergänzend dazu sind die Mitarbeiter darüber aufzuklären, wie mit Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen richtig umzugehen ist. Dazu gehört auch eine für das Problem sensibilisierende Schulung darüber, welche strafrechtlichen Risiken dem Einzelnen bei einem Verstoß drohen können.

Geraten Unternehmen ins Fadenkreuz strafrechtlicher Ermittlungen, lassen sich meist bereits in einem frühen Stadium viele Probleme lösen. Häufig hilft dabei auch ein Blick auf den Ursprung des Verfahrens. Auf keinen Fall sollten Strafanzeigen wegen Geheimnisverrats dagegen auf die leichte Schulter genommen werden. Angesichts der derzeit aufgeheizten Verfolgungsatmosphäre können für Unternehmen und Unternehmer ohne rechtzeitige strafrechtliche Aufarbeitung dramatische Konsequenzen drohen.

bott@strafrecht.de

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