Gewährleistungsrecht: BGH führt konkrete Erheblichkeitsschwelle bei Mängeln ein
Von Dr. Fabian Mayer

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Das Recht eines Käufers, bei Mangelhaftigkeit der Sache vom Vertrag zurückzutreten, ist gemäß §§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 5 Satz 2 BGB ausgeschlossen, wenn die in der Mangelhaftigkeit der Kaufsache begründete Pflichtverletzung „unerheblich“ ist. Erheblich sind grundsätzlich unbehebbare Mängel. Die Frage hingegen, wann ein behebbarer Mangel geringfügig ist und damit von einer „Unerheblichkeit“ der Pflichtverletzung gemäß § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB auszugehen ist, gehört seit Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes im Jahr 2002 zu den im Gewährleistungs- und Leistungsstörungsrecht umstrittenen Themen.

Hintergrund

Vor der Schuldrechtsmodernisierung führte eine „unerhebliche Minderung des Wertes oder der Tauglichkeit“ einer Sache gemäß § 459 a.F. BGB zu einem Totalausschluss der Gewährleistungsrechte des Käufers. Demnach wurde die hierdurch gesetzte Bagatellgrenze äußerst strikt ausgelegt, so dass nur geringfügigste Mängel als „unerheblich“ im Sinne der Vorschrift erachtet wurden. Im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung wurde dieses System vom Gesetzgeber umgedreht, mit der Folge, dass nur noch die Rückabwicklung des Kaufvertrags unter der Voraussetzung der Erheblichkeit der Pflichtverletzung steht, während demgegenüber Gewährleistungsrechte wie Nacherfüllung, Minderung und kleiner Schadensersatz auch bei Geringfügigkeit des Mangels garantiert sind.

Diese Entwicklung der Rechtssystematik wird von der überwiegenden Literaturmeinung und einem Teil der Instanzgerichte (bislang) zur Begründung dafür herangezogen, die Schwelle der „Erheblichkeit“ bei § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB gegenüber der Vorgängerregelung in § 459 BGB a.F. deutlich höher anzusetzen. Denn im Unterschied zur alten Rechtslage schließe die heutige Vorschrift den Käufer nicht vom gesamten Gewährleistungsrecht, sondern lediglich vom Rücktritt aus. Damit die Funktion des neu geschaffenen § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB nicht ins Leere laufe, sei die Schwelle zur Erheblichkeit nach dieser Auffassung erst dann erreicht, wenn die Kosten der Mangelbeseitigung mindestens 10% des Kaufpreises betragen. Teilweise wird sogar ein Maßstab von 20 bis 50% angesetzt. Der BGH hat sich nun für einen wesentlich geringeren Grenzwert entschieden.

Das aktuelle Verfahren vor dem BGH

Gegenstand des Verfahrens vor dem BGH war die Ausein­andersetzung zwischen dem Käufer eines Neuwagens und dem von ihm verklagten Autohaus. Das streitgegenständliche Fahrzeug zeigte nach Übergabe verschiedene Mängel, die der Käufer beanstandete und zu deren Nachbesserung er das Autohaus aufforderte. Nachdem das Autohaus einen Teil der geltend gemachten Mängel mit der Begründung zurückwies, die gerügte Funktion entspreche dem Stand der Technik, erklärte der Käufer den Rücktritt vom Kaufvertrag.

Im Zuge des Rechtsstreits ergab ein Sachverständigengutachten, dass die Kosten der Beseitigung der beanstandeten Mängel 6,5% des Kaufpreises betragen würden. Im Instanzengang wiesen Landgericht und Oberlandesgericht die Klage auf Rückabwicklung des Kaufvertrags ab, weil sie die in den festgestellten Mängeln zum Ausdruck kommende Pflichtverletzung des Autohauses als unerheblich und infolgedessen den Rücktritt gem. § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB als ausgeschlossen betrachteten.

Die Entscheidung des BGH

Mit Urteil vom 28.05.2014 (Az. VIII ZR 94/13) hat der BGH auf die Revision des klagenden Käufers die Ausgangsentscheidung aufgehoben. In seiner Entscheidung stellt der BGH fest, die Frage, ob eine Pflichtverletzung „unerheblich“ im Sinne von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB sei, beurteile sich nach einer umfassenden Interessenabwägung auf Grundlage der Umstände des Einzelfalls. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sei bei behebbaren Mängeln nicht auf das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung abzustellen, sondern auf die Kosten der Mängelbeseitigung. Unzutreffend sei in diesem Kontext die Auffassung der Instanzgerichte, dass die Erheblichkeitsschwelle von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB erst dann überschritten sei, wenn die Kosten der Mängelbeseitigung mehr als 10% des Kaufpreises betragen. Die bislang vom BGH offengelassene Frage, bei welchem Prozentsatz des Kaufpreises von einem nicht nur geringfügigen Mangel und damit von einer erheblichen Pflichtverletzung auszugehen sei, hat der BGH nun eindeutig wie folgt beantwortet:

„Der Senat entscheidet die umstrittene Frage nunmehr dahin, dass bei einem behebbaren Mangel im Rahmen der nach den Umständen des Einzelfalls vorzunehmenden Interessenabwägung von einer Unerheblichkeit der Pflichtverletzung gemäß § 323 Abs. 5 S. 2 BGB in der Regel dann nicht mehr auszugehen ist, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand mehr als 5% des Kaufpreises beträgt.“

Zur Begründung seiner Festlegung stellt der BGH insbesondere darauf ab, dass es sich bei § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB um ein Regel-Ausnahme-Verhältnis handele, bei welchem die Rücktrittsfolge die Regel und der Ausschluss davon die Ausnahme darstelle. Insoweit sei nach Sinn und Zweck der Regelung sowie der Systematik der Rechte des Käufers bei Sachmängeln weiterhin davon auszugehen, dass die Erheblichkeitserfordernisse gegenüber der früheren Rechtslage nicht erhöht werden dürften. Dagegen spreche auch der mit der Vorgängerregelung übereinstimmende Wortlaut („unerheblich“) wie auch die Gesetzesbegründung. Daneben stehe die Erheblichkeitsschwelle von 5% auch in Einklang mit der europarechtlichen Verbrauchsgüterkaufrichtlinie.

Fazit

Die aktuelle Entscheidung des BGH zeigt auf, dass nur äußerst geringfügige Mängel zum Ausschluss des Rücktrittsrechts des Käufers führen können. Betragen die Kosten der Mangelbeseitigung hingegen 5% des Kaufpreises oder mehr, muss der Verkäufer den Rücktritt vom Vertrag fürchten, wenn beispielsweise eine Nacherfüllung misslingt oder abgelehnt wird. Wohlgemerkt ist die Entscheidung des BGH nicht allein im Kontext des Gewährleistungsrechts bei Kaufverträgen zu sehen, sondern sie greift weit darüber hinaus. Dies deshalb, weil § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB nicht nur Leistungsstörungen in Kaufverträgen, sondern in allen Arten von gegenseitigen Verträgen erfasst. Gleichermaßen wird die Entscheidung des BGH auch bei Beurteilung der Frage heranzuziehen sein, ob im Rahmen des § 281 BGB sog. „großer Schadensersatz“ statt der ganzen Leistung verlangt werden kann oder sog. „kleiner Schadensersatz“ im Umfang des Minderwertes der erbrachten Leistung. Denn nach § 281 BGB kann der Gläubiger Schadensersatz statt der ganzen Leistung ebenfalls dann nicht verlangen, wenn die Pflichtverletzung „unerheblich“ ist. Die vom BGH in der hier besprochenen Entscheidung festgelegte Erheblichkeitsschwelle hat somit Bedeutung für zentrale Vorschriften des Allgemeinen Leistungsstörungsrechts.

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