Im Blickpunkt: Umsetzungsempfehlungen für Unternehmen

Von Eric Mayer

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Einführung

Die deutsche Nichtregierungsorganisation Transparency International (TI) wird in diesem Jahr ihr 25-jähriges Bestehen feiern. Am 21.02.2018 veröffentlichte sie mit dem Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perceptions Index/CPI) für das Jahr 2017 die inzwischen 23. Auflage dieses weltweit anerkannten Korruptionsbarometers (HIER). Der CPI misst die durch viele Experteninterviews festgestellte subjektiv wahrzunehmende Neigung zur Bestechlichkeit im öffentlichen Sektor in einem bestimmten von insgesamt 180 bewerteten Staaten.

Die Indexierung erfolgt anhand von Punktwerten, wobei der Höchstwert von 100 Punkten keine Korruptionsneigung anzeigt und null Punkte im Gegenteil dazu eine als sehr hoch wahrgenommene Korruptionsneigung indizieren. Staaten mit kritischen, also niedrigen Indexwerten werden auf der TI-CPI-Weltkarte dann in roter Farbe angezeigt. Wurden Herausgeber und Index selbst anfänglich gern angezweifelt, so hat sich der TI-CPI über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg nun zu einem internationalen De-facto-Standard bei der Identifikation und Beurteilung der Compliancerisiken im operativen Geschäft in verschiedensten Regionen entwickelt. Dafür spricht trotz der immer wieder angegriffenen Subjektivät in der Wahrnehmung öffentlicher Bestechlichkeit zum einen die robuste Systematik in der regelmäßigen Durchführung einer Vielzahl von Experteninterviews in einer steigenden Anzahl von Staaten weltweit. Zum anderen haben sich weitere Korruptionsindizes wie die TRACE-Bribery-Risk-Matrix (HIER) entwickelt, die durchaus der TI-Systematik folgen. Schließlich korrelieren die TI-CPI-Werte regelmäßig und statistisch zuverlässig mit weiteren Indizes, welche andere compliancerelevante Risikodimensionen abbilden. Die offensichtlichen Wechselbezüglichkeiten zwischen Korruption und schlechter Regierungsführung sowie schwacher Wirtschaftskraft werden durch die signifikante Korrelation zwischen dem TI-CPI und dem Fund-for-Peace-Fragile-States-Index (HIER) belegt. Ähnliche Analogien lassen sich im Vergleich zwischen TI-CPI und etwa einem Modern-Slavery-Index (HIER) der Walkfree Foundation beobachten. Dunkelrote Geographien im TI-CPI bilden oftmals exakt die Staaten, in denen systematische Menschenrechtsverletzungen, Kinderarbeit oder Zwangsarbeit endemisch sind, ab. Insofern darf der TI-CPI als robustes Compliancemessinstrument auch für Bestechung und Bestechlichkeit im „privaten“ Geschäftsverkehr weltweit gelten.

Überblick über die wichtigsten Ergebnisse

Die TI-CPI-2017-Top-Ten werden vom neuen „Tabellenführer“ Neuseeland mit 89 Punkten angeführt, zeigen aber ansonsten wenig Änderungen in deren Zusammensetzung: Wiederum belegen Staaten mit stabilen demokratischen Institutionen und unabhängigen Medien wie zum Beispiel Skandinavien oder Westeuropa die vordersten Plätze. Deutschland erreicht zwar mit 81 Punkten den gleichen Punktwert wie im Vorjahr, fällt aber aus den Top Ten und landet hinter den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich mit jeweils 82 Punkten auf Platz 12. Deutschlands wichtigster Handelspartner – die Volksrepublik China  – verbessert sich um einen Punkt auf 41 Punkte und belegt mit Rang 77 den zweitbesten Platz der BRICS-Staaten, nach Südafrika auf Rang 72. Die höchste Punktwertverbesserung gelang Barbados mit zusätzlichen sieben Punkten auf nunmehr 68 Punkte; die größte Verschlechterung musste Bahrain mit minus sieben Punkten auf jetzt kritische 36 Punkte hinnehmen.

Die TI-Vorsitzende Edda Müller hat vor dem Hintergrund der Verschlechterung der Platzierung Deutschlands die Bundesregierung öffentlich kritisiert: „Wer nur verwaltet und keine neuen Initiativen ergreift, läuft Gefahr, international abgehängt zu werden.“ Im Einzelnen fordert TI strengere Regeln für die Parteienfinanzierung und mahnt wiederholt ein Lobbyistenregister an – ein Punkt, der nicht im am 07.02.2018 von Union und SPD  beschlossenen Koalitionsvertrag enthalten ist.

Jenseits der politischen Interpretationsmöglichkeiten im Land des Herausgebers zeigt der TI-CPI 2017, dass aktuell in mehr als zwei Dritteln aller bewerteten Staaten ein kritisches Niveau der Korruptionsanfälligkeit von unter der Hälfte des erreichbaren Punktewerts festgestellt wurde – was wiederum zum bedenklich niedrigen weltweiten Gesamtdurchschnittswert von nur 43,07 Punkten führt. Dies illustriert wieder einmal deutlich den unverändert hohen politischen Handlungsbedarf zur Bekämpfung von Korruption. Dieser Umstand erhält aber auch große Bedeutung für international tätige Unternehmen jeder Größe und Rechtsform.

Umsetzungsempfehlungen für Unternehmen

Eine Analyse der aktuellen Rang- und Punkteveränderungen einzelner Staaten ist immer wieder spannend. Das von TI veröffentlichte Datenmaterial ist umfangreich und erlaubt exakte Abweichungs- und Trendanalysen. Wieso hat zum Beispiel mit Brasilien die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas im Vergleich zum Vorjahr weitere drei Punkte eingebüßt? Nachdem vom TI-CPI 2015 zum TI-CPI 2016 bereits schon 17 Punkte verlorengingen, scheint hier eine klare Tendenz zu beobachten zu sein – die 2014 mit dem großen Petrobras-Skandal „Lava Jato“ beginnt. Im Ergebnis steht Brasilien unter den BRICS-Staaten mit 34 Punkten auf Rang 96 an vorletzter Stelle – nur Russland ist mit 29 Punkten auf Platz 135 noch schlechter. Oder warum schneidet EU-Beitrittskandidat Montenegro mit 46 Punkten um einen Punkt besser ab als EU-Mitglied Ungarn, das sich in sechs Jahren um ganze zehn Punkte verschlechterte? Woran liegt es, dass Griechenland um vier Punkte und Italien um drei Punkte gegenüber 2016 zulegten – aber in der westeuropäischen Rangliste von 31 Staaten im TI-CPI 2017 trotzdem erschreckende viertletzte und siebtletzte Ränge belegen?

Im Unternehmensalltag ist es allerdings viel wichtiger, die aktuellen TI-CPI-Erkenntnisse robust zu implementieren. Die Operationalisierung von Rangplatzierungen und Punktwerten muss innerhalb der Prozess- und Kontrollumgebung eines effektiven und effizienten Compliancemanagementsystems (CMS) erfolgen. Präventive CMS-Kernprozesse sind zum Beispiel regelmäßig zu wiederholende Compliancerisikoanalysen und risikobasierte Geschäftspartnerprüfungen. Ein TI-CPI kann hierbei jedoch nicht zur „Self-executing Law“ oder zum „Deus ex Machina“-gleichen Automatismus werden: Je nach bearbeitetem Marktsektor, individueller Kunden- und Projektstruktur oder konkreten historischen Vorfällen sollte ein jeweils aktueller TI-CPI in einer Gesamtwürdigung eine Einflussgröße hinsichtlich einer konkret auszulegenden Richtschnur darstellen, anhand derer Managemententscheidungen getroffen werden müssen. Kann beispielsweise ein Vertriebsagent, der in einem Staat mit einem Punktewert von gerade einmal 35 Punkten Neugeschäft akquirieren soll, überhaupt noch unter Vertrag genommen werden? Sollte es einen strikten unternehmensweiten „Complianceäquator“ unterhalb von vielleicht 50, 40 oder 30 TI-CPI-Punkten geben? Oder würden regelmäßige Kontrollen und umfangreiche Compliancevertragsklauseln ein Engagement hier doch möglich machen?

Mit der 23. Auflage des TI-CPI sollte mindestens dies unmissverständlich klar geworden sein: Wer als Unternehmen dieses international führende Korruptionsbarometer ignoriert, lässt ein erhebliches Compliancerisiko entstehen. Denn der TI-CPI ist inzwischen nicht nur allen nationalen wie internationalen Behörden bestens bekannt, sondern wird auch von einer steigenden Zahl von Auftrag- und Kapitalgebern berücksichtigt.

eric.mayer@gsk.de

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