Im Blickpunkt: Bedeutung der neuen Regelungen für die Unternehmenspraxis
Von Sabine Feindura

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Als Teil des Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie hat das Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns – MiLoG – Bundestag und Bundesrat passiert. Es sieht erstmals einen gesetzlichen Mindestlohn für alle Arbeitnehmer vor. Kein Arbeitgeber sollte indes meinen, er sei vom MiLoG nicht betroffen. Das Gesetz hält auch für die Betriebe, die schon bisher alle ihre Arbeitnehmer über dem Mindestlohn vergüten, Fußangeln bereit.

Hintergrund und Anwendungsbereich

Ab dem 01.01.2015 gilt ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro brutto je Zeitstunde. Die Höhe des Mindestlohns soll erstmals mit Wirkung zum 01.01.2017, danach alle zwei Jahre überprüft werden.

Der Mindestlohn gilt nicht nur für alle Arbeitnehmer in Ost- und Westdeutschland, sondern auch für nach Deutschland entsandte Arbeitnehmer (§ 20 MiLoG).

Von der Anwendung ausgenommen sind Jugendliche unter 18 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung – § 22 Abs. 2 MiLoG will negative Effekte für deren Ausbildungsmotivation ausschließen – und Auszubildende (§ 22 Abs. 3 MiLoG).

Der Mindestlohn gilt aber für Praktikanten, soweit sie nicht einem der vier gesetzlich definierten Ausnahmetatbestände „waschechter“ Praktikanten unterfallen. Ausnahmen werden im Wesentlichen dort gemacht, wo Ausbildungsvorschriften ein Praktikum vorsehen und/oder eine Höchstgrenze von drei Monaten nicht überschritten wird, § 22 Abs. 1 MiLoG. Dabei muss jeweils die Ausbildung oder zumindest die Orientierung in Richtung einer Ausbildung im Vordergrund stehen. Flankierend wird sogar das NachweisG auf Praktikanten i.S.d. MiLoG erstreckt.

Langzeitarbeitslose im Sinne des § 18 Abs. 1 SGB III, also solche, die ein Jahr und länger arbeitslos sind, haben erst nach sechs Monaten im neuen Job Anspruch auf den Mindestlohn (§ 22 Abs. 4 MiLoG). Diese Regelung soll Hindernisse für die Wiedereingliederung ins Arbeitsleben vermeiden. Arbeitgeber sollten bei Abschluss des Arbeitsvertrags zum Nachweis der „Qualifikation“ als Langzeitarbeitsloser Kopien der ALG-Bescheide des Bewerbers zur Personalakte nehmen.

Zeitungszusteller kommen schrittweise in den Genuss des Mindestlohns. Im Jahr 2015 können sie nur 75% des Mindestlohns, also 6,38 Euro, beanspruchen, im Jahr 2016 85%, also 7,23 Euro, erhalten. Erst ab 2017 gilt auch für sie der volle Mindestlohn.

Die Frage, ob Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft auch mit dem Mindestlohn vergütet werden müssen, beantwortet Däubler (NJW 27/2014, 1924 ff.) unter Verweis auf das Arbeitszeitgesetz und will dementsprechend nur für Rufbereitschaft auf den Mindestlohn verzichten.

Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG), das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) und die danach erlassenen Rechtsverordnungen gehen dem MiLoG vor, soweit sie nicht Löhne unter dem Mindestlohn vorsehen. Das Gleiche gilt für bestimmte auf Basis des AEntG für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge (TV). Bis zum 31.12.2016 gehen allgemeinverbindliche Tarifverträge auch mit einem niedrigeren Stundenlohn dem MiLoG vor (§ 24 MiLoG).

Im Fall der Unterschreitung des Mindestlohns drohen neben der Nachzahlung des restlichen Nettolohns an alle betroffenen Arbeitnehmer über den gesamten Verjährungszeitraum (bis zu vier Jahre) empfindliche Bußgelder sowie Nachforderungen auf Sozialversicherungsbeiträge und sogar strafrechtliche Verfolgung wegen Nichtabführung von Sozialabgaben.

Zu erwartende Praxisprobleme

Probleme in der Umsetzung dürften sich durch unterschiedliche Vergütungsbestandteile ergeben. Bei Unterschreitung des Mindestlohns durch den Grundlohn fragt sich, inwieweit monatlich zahlbare zusätzliche Leistungen auf den Mindestlohn angerechnet werden dürfen. Noch drastischer stellt sich diese Frage bei jährlich zahlbaren Leistungen wie Boni und Urlaubsgeld. Hier wird vertreten, dass aus der Regelung des § 2 MiLoG, wonach der Mindestlohn spätestens am Ende des Monats nach Erbringung der Arbeitsleistung fällig wird, ein Verbot der Anrechnung jährlich fällig werdender Leistungen abzuleiten sei (so Sittard/Sassen, ArbRB 5/2014, 142, 144). Wäre dies richtig, müssten Arbeitgeber, die anderenfalls den Mindestlohn unterschreiten würden, prüfen, ob sie durch eine Vorverlegung der Fälligkeit solcher Leistungen auf monatliche Abschlagszahlungen zur Anrechenbarkeit gelangen können. Überzeugender ist hier allerdings der Rückgriff auf die Rechtsprechung des EuGH insbesondere in der Sache „Isbir“ (Urteil v. 07.11.2013 C-522/12, NZA 2013, 1359 ff.), wie u.a. von Ulber (RdA 2014, 176) und Däubler (NJW 27/2014, 1924, 1926) vorgeschlagen. Nach der Entscheidung des EuGH in der Sache „Isbir“ ist Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen dahingehend auszulegen, dass er der Einbeziehung von Vergütungsbestandteilen in den Mindestlohn nicht entgegensteht, wenn sie das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der Gegenleistung nicht verändern. So hegt der EuGH grundsätzlich Zweifel am Gegenleistungscharakter vermögenswirksamer Leistungen. Demgegenüber sollen Zuschläge für Überstunden, Nacht- und Wochenendarbeit nicht zur Aufstockung der Vergütung der vertraglichen Regelarbeitszeit auf den Mindestlohn herangezogen werden dürfen, ebenso wenig wie Trinkgelder und Auslagenersatz (Däubler a.a.O.). Pauschalzahlungen im Zuge von Tarifabschlüssen werden in den meisten Fällen der Aufstockung der Vergütung zwischen dem Auslaufen des alten Tarifs und dem Beginn der Geltung des neuen dienen und müssen entsprechend verteilt und angerechnet werden. Rückzahlungsklauseln bezüglich Sonderzahlungen im Fall der Eigenkündigung des Arbeitnehmers vor bestimmten Stichtagen, die zur Betriebstreue ermutigen sollen, mag man vor diesem Hintergrund überdenken, sofern diese Zahlungen für die Einhaltung des Mindestlohns benötigt werden. In jedem Fall sollte bei Unterschreitung des Mindestlohns durch den Grundlohn jetzt schon geprüft werden, welcher Sinn und Zweck den einzelnen sonstigen Zahlungen beizumessen ist, um zu klären, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen sie auf den Mindestlohn angerechnet werden dürfen.

Fälligkeitsregelungen für Mindestlohn

Schwierigkeiten bei der Implementation bereitet auch die Fälligkeitsregelung des § 2 Abs. 1 und 2 MiLoG. Abs. 1 verpflichtet Arbeitgeber, den Mindestlohn zum Zeitpunkt der vereinbarten Fälligkeit, spätestens jedoch am Ende des Monats, in den die Erbringung der Arbeitsleistung fiel, zu zahlen. Abs. 2 bestimmt hiervon Ausnahmen für Arbeitszeitkonten (nicht: Wertguthaben i.S.d. SGB IV). Der Ausgleich von Arbeitszeitguthaben in Freizeit oder in Entgelt in Höhe des Mindestlohns darf bis zu zwölf Monate auf sich warten lassen, wenn eine schriftliche Vereinbarung über das Arbeitszeitkonto besteht und das Konto „monatlich“ nicht mehr als 50% der regelmäßigen vertraglichen Arbeitszeit aufweist. Hier sind im Hinblick auf § 126 BGB und die unterschiedlichen Quellen solcher Vereinbarungen Probleme vorprogrammiert. Auch die 50%-Grenze wird in der Praxis oft gerissen. In letzter Minute wurde der Gesetzestext dergestalt ergänzt, dass diese Beschränkung keine Anwendung findet, soweit aufgrund verstetigten Arbeitsentgelts der Anspruch auf Mindestlohn „für die geleisteten Arbeitsstunden“ gewährleistet ist. In besonderen Bereichen wie etwa der Sozialwirtschaft, wo häufig in Teilzeit nach ständig wechselnden Dienstplänen quasi auf Abruf gearbeitet wird und Arbeitszeitguthaben langfristig angespart werden, kann das keine Entwarnung bedeuten. Insoweit ist zu hoffen, dass sich die Ansicht von Richter am Arbeitsgericht Berlin Lakies (ArbRAktuell 2014, 343) durchsetzt, wonach das MiLoG insgesamt dort keine Anwendung findet, wo sich aus einer einzel- oder kollektivvertraglichen Anspruchsgrundlage ein höherer Vergütungsanspruch ergibt. Der insoweit erhebliche bürokratische Aufwand, Sinn und Zweck des MiLoG und die Eigenschaft als spezialgesetzliche Regelung sprechen in der Tat deutlich gegen eine Anwendung des § 2 MiLoG auf Arbeitsverhältnisse oberhalb des Mindestlohns. Von einer Klarstellung durch den Gesetzgeber im Hinblick auf das verstetigte Arbeitsentgelt kann hier allerdings nicht die Rede sein.

Verfallklauseln in Frage gestellt

Nach § 3 MiLoG ist der Anspruch auf den Mindestlohn unabdingbar. Er kann auch nicht verwirkt werden. Ein Verzicht ist ausschließlich im Wege gerichtlichen Vergleichs wirksam. Auch eine Unterschreitung durch Tarifvertrag ist ausgeschlossen, abgesehen von der Übergangsregelung nach § 24 MiLoG. Damit stehen arbeitsvertragliche wie auch tarifliche Verfallklauseln auf dem Prüfstand. Der Einwand der Unwirksamkeit solcher Verfallklauseln wegen Verstoßes gegen § 3 MiLoG ist zu befürchten. Dem wäre zumindest in neu abzuschließenden Arbeitsverträgen zu begegnen durch eine Ausnahme vom Verfall für den dem Mindestlohn entsprechenden Anteil der Vergütung – mit allen damit verbundenen Berechnungsproblemen. Allerdings sieht § 3 Satz 1 MiLoG die Unwirksamkeit von Vereinbarungen, die die Geltendmachung des Mindestlohns ausschließen, explizit nur „insoweit“ vor. Damit kann man aus Sicht des Verwenders das Risiko in Kauf nehmen und sich auch im Übrigen insoweit auf Lakies (ArbRAktuell 2014, 343) berufen; § 3 ebenso wie das gesamte MiLoG können auch nicht teilweise Anwendung finden, wo sich aus einer einzel- oder kollektivvertraglichen Anspruchsgrundlage ein höherer Vergütungsanspruch ergibt.

Vorsicht: Falle!

Am dramatischsten für Betriebe, die schon jetzt mehr als den Mindestlohn zahlen, könnte sich die mangelnde Beachtung des § 13 MiLoG auswirken, der § 14 AEntG für entsprechend anwendbar erklärt. Damit wird eine Haftung des Auftraggebers von Werk- wie auch Dienstleistungen postuliert für die Zahlung des Mindestlohns durch den Auftragnehmer an dessen Arbeitnehmer. Diese Haftung bezieht sich weiter sogar auf den Mindestlohn der Arbeitnehmer von Nachunternehmern und von diesen oder dem Auftragnehmer beauftragten Verleihern. Wenn auch das AEntG die Dramatik dieser Regelung nur in wenigen Fällen gezeigt hat, könnte diese Haftung im Fall des MiLoG ganz andere Auswirkungen zeitigen. Da tröstet es wenig, dass die Haftung auf das Nettoentgelt beschränkt ist, zumal die Unterschreitung des Mindestlohns im eigenen Betrieb wie auch bei dem eingesetzten Auftragnehmer oder Nachunternehmer zusätzlich mit einem Bußgeld für den Auftraggeber von bis zu 500.000 Euro belegt werden kann, und zwar sogar im Fall von fahrlässiger Unkenntnis (§ 21 Abs. 3 MiLoG).

Natürlich sind auch mit dem MiLoG diverse Melde- (§ 16) und Dokumentationspflichten (§ 17) verbunden, von denen der Gesetzgeber in seiner Begründung behauptet, dass sie sich großteils mit bereits bestehenden Pflichten deckten.

Für die Überwachung der Einhaltung des MiLoG wird der Zoll zuständig sein, wie schon für das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz und das AEntG. Es gilt also auch bei MiLoG: Vorsicht ist besser als Nachsicht!

feindura@buse.de

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