Bericht aus der Arbeit des Berufsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins (DAV)
Von Markus Hartung
Vorbemerkung
Gelegentlich lesen Sie im Deutschen AnwaltSpiegel Ausführungen von mir zum anwaltlichen Berufsrecht. Das sind stets meine persönlichen Ansichten, und das muss gekennzeichnet werden, weil ich Vorsitzender des Berufsrechtsausschusses des DAV bin. Aber dieser Beitrag ist ausnahmsweise anders, denn heute berichte ich als Ausschussvorsitzender über unsere Arbeit zum Thema Brexit.
Einführung
Zurzeit ist es nicht ganz einfach, etwas Verlässliches zum Thema Brexit zu schreiben, weil sich die Winde stündlich drehen. Wird es am 29.03.2019 zum Hard Brexit kommen? Derzeit hat sich das englische Parlament dafür ausgesprochen, die EU um eine Verlängerung der zweijährigen Austrittsfrist zu bitten. Diesem Antrag müssen alle 27 EU-Staaten zustimmen. Das lässt sich vermutlich einfacher erreichen als Klarheit jenseits des Kanals, denn zu welchen Bedingungen diese Fristverlängerung beantragt wird und wozu sie genutzt werden soll, ist unklar. Wenn nachstehend von der Arbeit des Ausschusses berichtet wird, dann im Hinblick auf einen Hard Brexit, also auf ein Ausscheiden Großbritanniens aus der EU ohne weitere Vereinbarung.
Überblick – die Themen
Es gibt zwei große Themenkomplexe, welche die Anwaltschaft in Atem halten, wobei man gleich einschränkend sagen muss: Es ist nicht die gesamte Anwaltschaft, sondern die Gruppe von Kanzleien und Anwälten, die unmittelbar, in ihrem Status, vom Brexit betroffen sind. Das sind Kanzleien in der Rechtsform der englischen LLP zum einen und zum anderen diejenigen englischen Anwälte, die nach den Regeln des EuRAG in Deutschland praktizieren.
Das erste Thema, die LLPs, teilt sich auf in den Komplex der Rechtsfragen für „deutsche LLPs“, also Kanzleien, die ihren Sitz in Deutschland haben, aber gleichwohl die Rechtsform der LLP gewählt haben, und in den Themenkomplex für die großen englischen Kanzleien in der Rechtsform der LLP, die ihren Sitz in England haben und deren deutsche Büros Niederlassungen der englischen Muttergesellschaft sind.
Für die englischen Anwälte in Deutschland stellen sich Fragen nach dem Schicksal der Zulassung nach § 11 EuRAG oder der Registrierung nach § 2 EuRAG.
Deutsche und englische LLPs
Der Berufsrechtsausschuss hatte sich schon sehr früh mit diesen Rechtsfragen befasst – das ist die Aufgabe des Ausschusses. Im März 2018 fand eine Veranstaltung statt, auf der die jeweiligen Rechtsfragen eingehend diskutiert wurden. Die Themen sind inzwischen identifiziert, aber noch nicht komplett gelöst: Für die „deutschen“ LLPs steht fest, dass sie nach dem Brexit ihren LLP-Status in Deutschland verlieren und sich in eine GbR umwandeln. Das ist Folge der Sitztheorie, die der BGH bei der Ermittlung des Gesellschaftsstatuts anwendet. Über diese Fragen wurde erstmals in einem Beitrag hier im Deutschen AnwaltSpiegel berichtet [vgl. Hartung, (Hard) Brexit und die UK-LLP, Deutscher AnwaltSpiegel 8/2017 vom 19.04.2017, HIER]. Mit dem Rechtsformwechsel sind zahlreiche Rechtsfragen verbunden, mit denen die deutschen LLPs kämpfen und worüber an anderer Stelle ausführlich berichtet wurde.
Für die englischen LLPs wird neuerdings ein Problem beschrieben (oder hochgeschrieben, so sicher ist das nicht), nämlich ob sie in Deutschland nach dem Brexit noch rechtsdienstleistungsbefugt sind. Dabei geht es nicht um die Befugnisse der für die englischen LLPs arbeitenden deutschen Rechtsanwälte, sondern darum, ob der Mandatsvertrag mit der englischen LLP abgeschlossen werden darf. Bislang war es so gut wie unbestritten, dass englische LLPs ihre Befugnis von der Befugnis der für sie arbeitenden Rechtsanwälte ableiteten. Das ist neuerdings in Zweifel gezogen worden – aber nicht in Veröffentlichungen, sondern in privat erstellten Gutachten, über die nur hinter vorgehaltener Hand berichtet wird.
Der Ausschuss hat sich damit noch nicht befasst, wird das aber demnächst nachholen. Wen das Thema interessiert, der ist zum nächsten Law-Firm-Symposium an der Bucerius Law School eingeladen, wo das Thema mit dem Präsidenten der Hamburger Rechtsanwaltskammer diskutiert wird (mehr dazu HIER).
EuRAG – die europäische Niederlassungsfreiheit für Rechtsanwälte
Das EuRAG – Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland – setzt letztlich die europäischen Grundfreiheiten für Rechtsanwälte aus Mitgliedstaaten der EU um. Durch das EuRAG wird ermöglicht, dass europäische Rechtsanwälte in Deutschland praktizieren und ihre Mandanten (auch im deutschen Recht) beraten dürfen, wenn auch unter Verwendung der Berufsbezeichnung aus ihrem Herkunftsland. Ein isländischer Lögmaur oder eine griechische Dikigoros können sich in Deutschland am Ort ihrer Niederlassung bei der Kammer registrieren und dürfen „unter der Berufsbezeichnung des Herkunftsstaates die Tätigkeit eines Rechtsanwalts gemäß §§ 1–3 BRAO“ ausüben. Wer zu diesen europäischen Rechtsanwälten gehört, ergibt sich aus einer Anlage zu § 1 EuRAG. Aus Großbritannien sind es die Advocates, Barristers und Solicitors.
Über die Registrierung einer Niederlassung nach § 2 EuRAG hinaus können europäische Rechtsanwälte nach § 11 EuRAG unter bestimmten Voraussetzungen in Deutschland zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden. Das Gesetz spricht hier von Eingliederung und erlaubt die Zulassung nach einer mindestens dreijährigen „effektiven und regelmäßigen Tätigkeit“ als niedergelassener europäischer Rechtsanwalt. Diese Freizügigkeit führt manchmal zum Kulturkampf (vgl. Hartung, Culture Clash – der Fall Torresi, Deutscher AnwaltSpiegel 16/2014 vom 13.08.2014, HIER, hat sich aber insgesamt bewährt. Insbesondere in Deutschland sind viele Rechtsanwälte aus anderen europäischen Mitgliedstaaten tätig.
EuRAG und Brexit
Der Berufsrechtsausschuss hatte jetzt Veranlassung, sich mit Fragen zu Brexit und EuRAG zu befassen, weil das BMJV dem DAV einen Referentenentwurf für eine Rechtsverordnung zum EuRAG zur Stellungnahme übersandte. Der Entwurf ist kurz und knapp und sieht vor, die englischen Solicitors, Barristers und Advocates aus der Anlage zu § 1 EuRAG zu streichen. Das bedeutet, dass die englischen Kolleginnen und Kollegen nach dem Hard Brexit nicht mehr als europäische Rechtsanwälte gelten und nicht mehr unter § 1 EuRAG fallen würden. Gleichzeitig sieht der VO-Entwurf vor, eine Anlage zu § 206 BRAO um die englischen Anwälte zu erweitern: Nach dieser Vorschrift dürfen Anwälte aus WHO-Staaten in Deutschland praktizieren, aber nur in ihrem Heimatrecht und im Völkerrecht, nicht im deutschen Recht.
Kein Withdrawal-Agreement
Der Verordnungsentwurf ist letztlich nur folgerichtig, denn Austritt aus der EU heißt eben Austritt aus der EU. Die Grundfreiheiten, zu denen auch die Niederlassungsfreiheit gehört, gelten nicht mehr. Wenn es tatsächlich zu einem Hard Brexit kommt, gibt es auch kein Zwischenreich, es gibt nur drinnen oder draußen. Wohl gibt es den Entwurf einer Vereinbarung, in dem die verschiedenen Fragen angesprochen werden, auch die Situation englischer Anwälte in Ländern der EU – aber dieses sogenannte Withdrawal-Agreement ist im englischen Parlament bisher gescheitert, mehrfach sogar, und es ist zum Zeitpunkt der Niederschrift und der Veröffentlichung dieses Beitrags nicht sicher, ob sich da nicht doch noch etwas bewegt.
Wenn auch der Verordnungsentwurf für die Zukunft eine folgerichtige Regelung trifft, so stellen sich doch viele Fragen für diejenigen englischen Anwälte, die seit vielen Jahren oder auch erst seit kurzer Zeit in Deutschland praktizieren. Was passiert mit Zulassungen nach § 11 EuRAG, was mit den registrierten Niederlassungen nach § 2 EuRAG? Mit diesen Fragen befasste sich eine aktuelle Stellungnahme des Berufsrechtsausschusses (SN 7/19 vom 28.02.2019: Brexit und anwaltliches Berufsrecht, mehr dazu HIER). Die Materie ist staubtrockenes Recht, gar öffentliches Recht, und dennoch ist diese Stellungnahme in den Social Media auf sehr großes Interesse gestoßen. Das zeigt letztlich nur, wie drängend die Fragen und wie buchstäblich alleingelassen diejenigen sind, deren Status unmittelbar durch den Brexit betroffen ist. Und natürlich kommt man hier um das Thema Bestandsschutz gar nicht herum.
Grandfathering
Der Berufsrechtsausschuss meint jedenfalls Folgendes: Grundsätzlich sind sowohl die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 11 EuRAG wie auch die Registrierung der Niederlassung nach § 2 EuRAG begünstigende Verwaltungsakte. Diese ändern sich nicht ohne weiteres, wenn Großbritannien die EU verlässt und englische Anwälte künftig nicht mehr als europäische Anwälte gelten. Vielmehr ist eine Rechtsgrundlage für Rücknahme oder Widerruf eines solchen Verwaltungsakts erforderlich. Eine solche Rechtsgrundlage gibt es nicht in der BRAO, denn die Voraussetzungen, unter denen nach § 14 BRAO eine Anwaltszulassung entzogen werden kann, liegen nicht vor.
Zulassungen nach § 11 EuRAG
Man muss die Fallgruppen gesondert behandeln: Die Zulassung zur Anwaltschaft nach § 11 EuRAG kann unseres Erachtens nicht zurückgenommen werden. Die Hürden vor einer solchen Zulassung sind hoch, man nimmt sie nur, wenn man mindestens drei Jahre im deutschen Recht praktiziert hat, und es gibt weder einen Grund noch eine Rechtsgrundlage, diese Rechtsposition jetzt wieder zu entziehen.
„Hängende“ Zulassungsverfahren
Fraglich ist, wie mit Anträgen auf Zulassung nach § 11 EuRAG zu verfahren ist, über die erst nach Wirksamwerden des Brexits entschieden wird. Grundsätzlich kommt es hier auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung an. Wenn aber jemand die Voraussetzungen erfüllt hat, hat er einen Rechtsanspruch auf Zulassung. Zu den Voraussetzungen gehört es nicht, jedenfalls nicht nach dem Wortlaut des § 11 EuRAG, dass jemand zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Zulassungsantrag noch europäischer Rechtsanwalt ist. Das würde bedeuten, dass auch diejenigen, die vor dem Brexit die Voraussetzungen des § 11 EuRAG erfüllt haben, einen Zulassungsanspruch haben, selbst wenn darüber nach dem Brexit entschieden wird. Anders wäre der Fall wohl nur zu behandeln, wenn man § 11 EuRAG gemeinsam mit § 1 EuRAG lesen und danach annehmen müsste, dass nach dem Brexit alle Rechtspositionen in sich zusammenfallen. Aber über diese Rechtsfrage kann man schon streiten, und diese Unsicherheit war möglicherweise der Grund dafür, dass im Entwurf des Withdrawal-Agreements vorgesehen wurde, dass es bei Entscheidungen über Zulassungsanträge nach § 11 EuRAG auf die Rechtslage zum Zeitpunkt des Antrags ankommt. Das sagt uns aber mindestens auch, dass die europäische (hier verstanden als deutsche) Seite bereit war, den englischen Anwälten entgegenzukommen und ihnen Bestandsschutz zu gewähren.
Niederlassungen nach § 2 EuRAG
Fraglich ist schließlich, was mit den registrierten Niederlassungen nach § 2 EuRAG zu geschehen hat. Der Entwurf des Withdrawal-Agreements geht davon aus, dass diese Registrierungen entfallen, sprich die Befugnis, weiterhin im deutschen Recht zu beraten. Das ist vom Ergebnis her vertretbar, aber auch hier reden wir über Rechtspositionen aufgrund begünstigender Verwaltungsakte. Eine Rechtsgrundlage für die Entziehung der mit der Registrierung verbundenen Befugnis der Beratung im deutschen Recht gibt es auch hier nicht. Kann man § 4 Abs. 2 EuRAG analog anwenden? Sehr zweifelhaft. Wird es zu unterschiedlichen Handhabungen kommen, je nach Dafürhalten der einzelnen Rechtsanwaltskammern?
Ausblick
Andere europäische Länder, Frankreich an der Spitze, haben bereits Übergangsregelungen geschaffen, um diese Themen zu adressieren. In Deutschland fehlen solche Regelungen – noch. Wir hoffen, dass es in Gesprächen mit dem BMJV und gemeinsam mit der BRAK gelingt, vernünftige Übergangsregelungen zu erzielen. Man sollte diese schwierigen Fragen nicht den Rechtsanwaltskammern allein überlassen, und für Mandanten wäre es eine völlig unhaltbare Situation. Vielleicht findet der Brexit ja doch nicht am 29.03.2019 statt, dann wäre noch etwas Zeit dafür.