Im Blickpunkt: Herausforderungen im virtuellen Wettbewerb
Gastbeitrag von Dr. Daniel Dohrn
Daten und Algorithmen wirken sich auf unsere Lebensweise nachhaltig aus. Die Art, wie wir leben, arbeiten und kommunizieren, ändert sich rasant. Der Onlinehandel führt durch höhere Markttransparenz und den Zugriff auf eine unüberschaubare Anzahl von Wahlmöglichkeiten zu mehr Wettbewerb. Auf der anderen Seite bringt die zunehmende Nutzung von Daten und Algorithmen aber auch neue Herausforderungen für die kartellrechtliche Compliance mit sich.
Ein Verstoß gegen das deutsche (§ 1 GWB) und europäische Kartellverbot (Art. 101 AEUV) setzt nach heutigem Verständnis eine (menschliche) Willensübereinstimmung der Beteiligten voraus. Wenn aber die Bildung von Kartellen eine typisch menschliche Handlung ist, wie können dann Softwareprogramme eine Herausforderung für das Kartellrecht darstellen? Zum einen, weil sie als effiziente Hilfsmittel für wettbewerbsbeschränkende Absprachen dienen können, zum anderen, weil sie in digitalisierten Märkten auch ohne menschliches Zutun die Fähigkeit zur Marktmanipulation besitzen – das haben Crashs im automatisierten Aktienhandel in der Vergangenheit anschaulich gezeigt. Mit steigender Nutzung von datengetriebenen Algorithmen werden die Interaktion zwischen Unternehmen und die Markttransparenz weiter zunehmen. Beides sind Umstände, die einen Markt anfällig für wettbewerbsschädliche Kollusionen machen können.
Price-Monitoring – Gefahr für verbotene vertikale Preisbindung
Algorithmen bieten die Möglichkeit, Preisveränderungen auf dem Markt online in Echtzeit zu verfolgen (Price-Monitoring). Das ist kartellrechtlich unbedenklich, solange Unternehmen auf diese Weise gesammelte Daten lediglich zur Marktbeobachtung und zur Verbesserung des eigenen Marktverhaltens oder der eigenen Produkte nutzen. Es ist Herstellern aber ein Leichtes, mit einer entsprechenden Preissoftware auch Abweichungen der eigenen Händler von der unverbindlichen Preisempfehlung aufzuspüren und abzumahnen. In einem solchen Fall kann bereits die Kontaktaufnahme zum Abnehmer, um den Weiterverkaufspreis zu beeinflussen, eine verbotene vertikale Preisbindung darstellen, die regelmäßig mit hohen Bußgeldern geahndet wird.
Algorithmus als „Kartellgehilfe“
Preissoftware wird von Unternehmen außerdem gern zur Beobachtung der Wettbewerber eingesetzt. Sie kann etwa so konfiguriert werden, dass die eigenen Onlinepreise automatisch an die Preise der Wettbewerber angepasst werden (Dynamic Pricing). Das ist bei vielen Unternehmen bereits üblich. Dieses Verhalten ist auch nicht zu beanstanden, sofern ein Unternehmen die Software dazu verwendet, sich einen Marktüberblick zu verschaffen und sein Verhalten anschließend autonom den beobachteten Marktgegebenheiten anzupassen. Es fehlt in diesen Fällen an einer „Vereinbarung“ oder „abgestimmten Verhaltensweise“ mit dem Wettbewerber im Sinne des § 1 GWB/Art. 101 AEUV.
Wird ein Algorithmus jedoch als Instrument für wettbewerbswidrige Absprachen zwischen Unternehmen eingesetzt, liegt in der Regel ein Kartellverstoß vor. Das zeigt der Fall des sogenannten Poster-Kartells. Hier hatten Posterhändler einen Preisalgorithmus eigens für den Verkauf über die Plattform Amazon Marketplace entwickelt. Es wurde vereinbart, dass durch entsprechende Programmierung der Software die Einhaltung des Preisniveaus der teilnehmenden Händler überwacht und bei Bedarf angepasst werden sollte. Da eine explizite Absprache zwischen den Händlern bestand, konnte die amerikanische Kartellbehörde dieses Verhalten unproblematisch als illegales Preiskartell ahnden. Der Algorithmus diente dabei als „Gehilfe“, der die Kommunikation für die Kartellanten übernahm.
Digitales „Hub and Spoke“
Nicht weniger risikobehaftet sind sogenannte Hub-and-Spoke-Szenarien. Dies sind Konstellationen, in denen Wettbewerber (Spoke) nicht direkt miteinander kommunizieren, sondern über eine zentrale Stelle (Hub) wettbewerblich relevante Informationen untereinander austauschen. Als Hub könnten dabei in Zukunft vermehrt digitale (Handels-)Plattformen oder Algorithmen eingesetzt werden. Problematisch sind diese Konstellationen, wenn sie zu einer faktischen Koordinierung zwischen den Nutzern auf horizontaler Ebene führen. Anschaulich wird das durch den „Eturas-Fall“, den der EuGH zu entscheiden hatte. Hintergrund war eine cloudbasierte Buchungssoftware, die mehrere Reisebüros gemeinsam genutzt hatten. Durch den Systemadministrator wurden für alle über das System durchgeführten Onlinebuchungen eine Rabattobergrenze von 3% bestimmt und eine entsprechende Mitteilung an die Reisebüros versendet. Den Reisebüros blieb zwar eine Abweichung von der Rabattobergrenze vorbehalten, eine solche erforderte aber einen gewissen technischen Aufwand. Die meisten der Reisebüros bewarben daher in der Folgezeit einheitli-che Preisnachlässe von 3%. Der EuGH bewertete dieses Vorgehen als eine verbotene abgestimmte Verhaltensweise im Sinne des Art. 101 AEUV. Um hierfür nicht haftbar gemacht werden zu können, hätten die Reisebüros die Koordinierung gegenüber dem Systemadministrator ausdrücklich beanstanden oder nachweisbar darlegen müssen, dass sie weiterhin systematisch entgegen dem einheitlich festgelegten Marktverhalten agieren.
Ausblick: künstliche Intelligenz
Eine Rolle bei der Bildung von Kartellen könnten in Zukunft auch selbstlernende Algorithmen spielen, die durch die Anwendung sogenannter Deep-Learning-Methoden das Potential haben, sich selbständig fortzuentwickeln. Bei Algorithmen, die darauf programmiert sind, schnelle und effiziente Lösungen zu finden, ist ein kollusives Verhalten zwischen den Programmen kein unwahrscheinliches Szenario mehr. Dann stellt sich die Frage, ob ein Unternehmen für eine computergesteuerte Abstimmung zwischen Wettbewerbern ohne menschliche oder menschlich initiierte Kontaktaufnahme verantwortlich gemacht werden kann. Spätestens wenn Programme gänzlich autonome Entscheidungen treffen, die von ihren Programmierern nicht mehr vorhergesehen werden können (Black Box), bedarf es einer Schärfung rechtlicher Anknüpfungspunkte für die Zurechnung eines Kartellverstoßes. Hier werden derzeit verschiedene Ansätze diskutiert, unter anderem eine Haftung wegen Unterlassens, sofern die algorithmusgetriebene Kollusion nach Kenntnisnahme durch ein Unternehmen nicht beseitigt wird. Ein anderer Ansatz wäre, Algorithmen rechtlich als „verlängerten Arm“ des Unternehmens zu qualifizieren. Das „Verhalten“ des Algorithmus würde dem Unternehmen dann als eigenes Verhalten zugerechnet.
Fazit
Das digitale Zeitalter verspricht eine Zunahme von Wettbewerb und Wohlfahrt. Algorithmen können aber auch ein effektives Mittel sein, um wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen zu etablieren. Menschliche Faktoren wie Misstrauen oder Angst sind Algorithmen fremd; Letztere könnten „Digital-Kartelle“ daher zu sehr stabilen Instrumenten machen. Die Verwendung von Algorithmen als „Kartellgehilfen“ könnte außerdem die Hemmschwelle für Kartellverstöße reduzieren, da eine direkte Interaktion zwischen natürlichen Personen nicht mehr zwingend erforderlich ist. Unternehmen sollten auf diese Herausforderungen reagieren und ihre kartellrechtliche Compliance entsprechend anpassen. Nach dem Willen der Kartellbehörden müssen Unternehmen dafür Sorge tragen, dass sich nicht nur ihre Mitarbeiter kartellrechtskonform verhalten, sondern dass auch ihre Algorithmen so programmiert sind, dass eine wettbewerbsbeschränkende Kollusion ausgeschlossen oder jedenfalls erschwert ist (Compliance by Design). Andernfalls könnte eine kartellrechtliche Haftung drohen.F
Hinweis der Redaktion:
Am Nachmittag des 19.03.2019 findet in der Pagode
der F.A.Z. ein Roundtable zu aktuellen Entwicklungen im Bereich Compliance statt, den der Deutsche AnwaltSpiegel gemeinsam mit Oppenhoff & Partner veranstaltet. Weitere Informationen finden Sie HIER. (tw)