Zu Möglichkeiten und Risiken von Gemeinschaftsunternehmen nach der Entflechtung im Bereich Walzasphalt
Von Dr. Ulrich Schnelle

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Einführung

Der Rechtsfigur von Gemeinschaftsunternehmen (GUs) sind das Bundeskartellamt (BKartA) und, wenn auch zurückhaltender, die Rechtsprechung schon seit längerem mit einem gewissen Misstrauen begegnet. Dies galt vor allem für Fallgestaltungen, in denen aktuelle Wettbewerber als Gesellschafter beteiligt waren. Das Misstrauen resultiert aus der durch ein GU gleichsam institutionalisierten Möglichkeit, Wettbewerbsverhalten zu koordinieren und sensible Informationen auszutauschen. Die im Jahr 2012 abgeschlossene Sektoruntersuchung des BKartA im Bereich Walzasphalt, an die sich eine bis Juli 2015 dauernde Entflechtungskampagne mit der Auflösung von mehr als 100 GUs in dieser Branche anschloss, führt zu einer noch weiter verschärften und noch kritischeren kartellrechtlichen Beurteilung von GUs. Dieser Beitrag stellt die sich im Vergleich zur bisherigen Rechtslage ergebenden Verfeinerungen der Analyse von GUs sowie die sich für die Praxis und für die Zukunft ergebenden Konsequenzen dar.

Bisherige Kriterien der Zulässigkeit eines Gemeinschaftsunternehmens

Als teilweiser Zusammenschluss zwischen Unternehmen erfüllt ein GU eine Doppelfunktion: Es erlaubt eine Kooperation zwischen Unternehmen in Teilbereichen, ohne dass ein Unternehmen vollständig übernommen werden muss. Das GU ist in letzter Zeit vermehrt Gegenstand von Interventionen des Bundeskartellamts geworden. Das Bundeskartellamt, teilweise gestützt auf die Rechtsprechung des BGH, verlangt in zunehmendem Maße die Auflösung von GUs.

Hinsichtlich von GUs wird zwischen konzentrativen und kooperativen GUs unterschieden. Das sogenannte kooperative GU unterfällt in vollem Umfang der Kontrolle nach § 1 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Im Regelfall kooperieren die Mutterunternehmen des GUs, so dass häufig der Tatbestand des § 1 GWB erfüllt ist.

Hingegen unterfallen konzentrative GUs der Prüfung des § 1 GWB nur in Ausnahmefällen. Ein konzentratives GU ist ein funktionsfähiges Unternehmen, das die wesentlichen Unternehmensfunktionen aufweist, marktbezogene Leistungen erbringt, nicht ausschließlich oder überwiegend auf einer vor- oder nachgelagerten Stufe für eines der Mutterunternehmen tätig ist und dessen Mutterunternehmen aus dem sachlichen Markt des GUs ausscheidet. § 1 GWB findet auf das konzentrative GU aber dann Anwendung, wenn die Gründung des GUs zu einer Verhaltensabstimmung der Mutterunternehmen führt. Dies ist nach der Rechtsprechung des BGH im Fall „Ostfleisch“ (Beschluss vom 08.05.2001, KVR 12/99, WuW DE-R 711) dann zu erwarten, wenn die Mutterunternehmen, also mehr als ein Mutterunternehmen, und das GU auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt tätig bleiben. Die Möglichkeit einer Verhaltenskoordinierung der Mutterunternehmen ist dann zu prüfen, wenn diese auf einem von dem GU verschiedenen sachlich und räumlich relevanten Markt tätig bleiben.

Ein konzentratives GU unterfällt im Regelfall ausschließlich der Fusionskontrolle. Da die mittelständischen GUs die entsprechenden Schwellenwerte der §§ 35 ff. GWB nicht erreichen, unterlagen sie der kartellrechtlichen Prüfung nur in dem vorbeschriebenen Umfang.

Das vom BGH aufgestellte Konzept der Erwartung einer Verhaltensabstimmung ist dahingehend konkretisiert worden, dass die Fortsetzung der Tätigkeit der Mutterunternehmen als aktueller Wettbewerber des GUs als Indiz einer Kooperation der Mutterunternehmen anzusehen ist, weil diese im Allgemeinen versucht seien, ihre Geschäftspolitik abzustimmen oder sich im Wettbewerb zurückzuhalten. Eine Beschränkung des Wettbewerbs sei bei einer Fortsetzung dieser Tätigkeit der Mutterunternehmen „regelmäßig zu erwarten“.

Der BGH hat in seiner späteren Entscheidung
„Nord-KS“ (Beschluss vom 04.03.2008, KVZ 55/07, WuW 2008, 1065) zum Ausdruck gebracht, dass die vorgenannte Erwartung aus Sicht der Rechtsprechung eher als eine Erfahrungstatsache zu betrachten ist, die im Einzelfall der Bestätigung durch eine Gesamtbetrachtung der wirtschaftlichen Zusammenhänge und Auswirkungen bedarf.

Das BKartA verwendet für eine derartige Sachlage den Terminus der Regelvermutung. Die Regelvermutung führt nicht zu einer Beweislastumkehr, sondern hat eine Indizwirkung für die sich anschließende Gesamtbetrachtung der konkreten Konstellation. Dabei sollen die Produkteigenschaften, die Angebots- und Nachfragebedingungen, die Marktkonzentration und die relevanten bundes- und landesweiten Verflechtungen zwischen Unternehmen berücksichtigt werden.

Sektoruntersuchung des Bundeskartellamts im Bereich Walzasphalt und Entflechtung von Gemeinschaftsunternehmen

Aufgrund seiner Erfahrungen aus der Fusionskontrolle hat das BKartA ab Juni 2010 eine Sektoruntersuchung im Bereich Walzasphalt durchgeführt. Die Ergebnisse der Sektoruntersuchung Walzasphaltunternehmensverflechtungen in Form von Gemeinschaftsunternehmen wurden im Abschlussbericht gemäß § 32e GWB im September 2012 vorgestellt. Das BKartA fand insgesamt mehr als 200 Gemeinschaftsunternehmen vor. Der Walzasphaltmarkt ist durch enge sachlich und räumlich relevante Märkte und durch eine starke Präsenz der sogenannten G4-Unternehmen (Werhahn, Strabag, Eurovia und Kemna) gekennzeichnet. Die weitaus meisten der Walzasphaltmischwerke werden von Gemeinschaftsunternehmen betrieben, ferner finden sich auch bei anderen Walzasphaltmischwerken verschiedene Formen der Kooperation. Die G4-Unternehmen sind bei insgesamt 126 von 207 Betreibergesellschaften vertreten. Sie halten bei drei Vierteln der betroffenen 156 GU-Werke die Anteilsmehrheit und beim übrigen Viertel regelmäßig gemeinsame Anteile zwischen 25% und 45%. Die bundesweite Marktdurchdringung der G4-Gruppe wurde vom BKartA als zwischen 72,3% und 74,9% liegend festgestellt.

Das BKartA nutzte die Sektoruntersuchung zu einer Verfeinerung der Analyse von Gemeinschaftsunternehmen und stellte eine nach Buchstaben geordnete Typologie von GUs zusammen, die auch für zukünftige Analysen von GUs Verwendung finden wird.

Befunde der Sektoruntersuchung

Das BKartA sah sich aufgrund der Ergebnisse der Sektoruntersuchung veranlasst, in großem Umfang Entflechtungen der Gemeinschaftsunternehmen anzuregen, um die entsprechenden Verfahren einstellen zu können. Insgesamt wurden 104 GUs als kartellkritisch angesehen. Am 17.07.2015 wurde der entsprechende Bericht zu dem Verfahren B1-100/12 nach der Sektoruntersuchung Walzasphalt mit dem Titel „Entflechtung vom Gemeinschaftsunternehmen im Bereich Walzasphalt“ vorgelegt.

Kartellunkritisch, sogenannte Typ-U-Fälle, waren 27 GUs. Typ-U-Fälle sind solche, in denen kein Gesellschafter auf dem gleichen sachlich und räumlich relevanten Markt oder auf vor- oder nachgelagerten Märkten des GUs in erheblichem Umfang tätig ist oder in denen das GU von einem Gesellschafter beherrscht wird und die anderen Gesellschafter weder auf dem sachlichen und/oder räumlichen Markt noch auf vor- oder nachgelagerten Märkten des GUs tätig sind oder in denen die Gesellschafter des GUs kleinere oder mittelständische Unternehmen sind, die auf denselben räumlichen Märkten wie das GU und/oder auf vor- oder nachgelagerten Märkten des GUs tätig sind, wobei weder das GU noch die kleineren oder mittelständischen Gesellschafter auf ihren jeweiligen Märkten über relevante Marktstellungen verfügen.

Die den Walzasphaltmarkt prägende Konstellation ist der Typ A: Hier sind zwei oder mehrere GU-Gesellschafter auf demselben sachlichen und/oder räumlichen Markt des GUs tätig. Der Typ A ist der Fall, auf den die Regelvermutung des BKartA abstellte. Unternehmerisch sinnvoll ist laut BKartA eine GU-Gründung nur, wenn mit dieser eine Beschränkung des Wettbewerbs zwischen den beteiligten Unternehmen einhergeht. Es ist zu erwarten, dass die betroffenen Gesellschafter sich an den geschäftlichen oder wettbewerblichen Interessen des GUs ausrichten oder umgekehrt das GU sich an ihren gemeinsamen Interessen ausrichtet. Häufig anzutreffen sind auch personelle oder sonstige Verbindungen. Die Untersuchung, ob die Regelvermutung erfüllt ist, orientiert sich an den strategischen Interessen und der wirtschaftlichen Bedeutung des GUs und seiner Gesellschafter.

Ferner hat das BKartA drei Typ-B-Fälle herausgearbeitet. Insgesamt sind die Typ-B-Fälle dadurch gekennzeichnet, dass einzelne Voraussetzungen der Regelvermutung nicht erfüllt sind. Im Unterfall Typ B1 ist nur ein Gesellschafter im Markt tätig, und mindestens ein weiterer Gesellschafter ist „nur“ über eine nicht beherrschte Beteiligungsgesellschaft im Markt tätig. Das BKartA ermittelt mögliche Wettbewerbsbeschränkungen anhand einer Gesamtbetrachtung des wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs. Hier komme es vor allem auf die rechtlichen und faktischen Einflussmöglichkeiten des nichtbeherrschenden Gesellschafters an. Zudem wird auf den Unterschied zwischen der Einflussmöglichkeit des Minderheitsgesellschafters gegenüber denjenigen der Mitgesellschafter und deren strategischen Interessen abgestellt. Kritisch zu hinterfragen ist, ob diese Gestaltung einer beherrschungsähnlichen Lage schon ausreichen kann, um eine faktische Einflussnahme auf die Geschicke der Beteiligungsgesellschaft anzunehmen.

Im Unterfall Typ B2 ist nur ein Gesellschafter im Markt tätig. Mindestens ein weiterer Gesellschafter ist als nur potentieller Wettbewerber in einem unmittelbar benachbarten Markt tätig. Für eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung komme es auf die Stärke des potentiellen Wettbewerbsverhältnisses zwischen dem Wettbewerber und dem GU an. Ein Fall der Regelvermutung kann aber beispielsweise dann angenommen werden, wenn der zweite Gesellschafter in den Marktraum des GUs liefert. Diese Vermutung kann nur dann widerlegt werden, wenn sich der Gesellschafter autonom verhält oder sich einer Einlieferungsvereinbarung enthält.

Im Unterfall Typ B3 sind mindestens zwei Gesellschafter des GUs weder im Markt des GUs noch in unmittelbar räumlich benachbarten Märkten tätig, treffen aber auf anderen regionalen Märkten als Wettbewerber aufeinander. Hier könnten von dem GU Spill-over-Effekte auf andere Märkte übertragen werden, da ein übergeordnetes gemeinsames Interesse aus einer gemeinsamen unternehmerischen Verantwortung der Gesellschafter des GUs entstehe und damit ein Anreiz, die vertrauensvolle Zusammenarbeit des GUs auf weitere Märkte zu übertragen.

Typ-C-Fälle sind dadurch gekennzeichnet, dass durch Informationsflüsse zwischen dem GU und einzelnen oder mehreren Gesellschaftern Wettbewerbsbeschränkungen entstehen. Auch diese Konstellation hebt das BKartA in seinem Abschlussbericht hervor, auch wenn es sich hier größtenteils um Wettbewerbsbeschränkungen handelt, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem GU stehen müssen. Das BKartA monierte den Informationsfluss zwischen den Teilhabern untereinander und dem GU. Dieser Informationsfluss erfolgte im Rahmen von Teilhaberversammlungen. Die dort verwendeten technischen Vorlagen und die Versammlungsprotokolle enthielten regelmäßig detaillierte Übersichten, Statistiken und Grafiken zur Entwicklung des GUs und seiner einzelnen Werke. Darüber hinaus führten die personellen Verflechtungen mit den konkurrierenden Teilhabern regelmäßig zu sehr hoher Markttransparenz, die kartellrechtlich als problematisch anzusehen sei.

Für weitere überschießende Verhaltensweisen (etwa Verträge über kaufmännische Dienstleistungen, Preisfestsetzungen, Ergebnisbeteiligungen, Lieferverhalten, Kollegenlieferverträge oder Liefergemeinschaften) führte das BKartA eine gesonderte eigenständige kartellrechtliche Prüfung durch, da die meisten Vereinbarungen zeitlich unabhängig von den GU-Verträgen geschlossen wurden.

Entflechtungsverfahren

Im strukturellen Ergebnis kann der Abschluss des Verfahrens als strukturelle Neuaufstellung des Walzasphaltmarkts in Deutschland bezeichnet werden. Das BKartA hat eine ganze Branche umstrukturiert und dabei den Anspruch erhoben, Verhältnisse zu schaffen, die Wettbewerb gewährleisten.

Dabei ist der kritische Hinweis erlaubt, dass derartige Umstrukturierungen den stärksten Eingriff in das Eigentumsrecht der jeweiligen Unternehmen, nicht zuletzt der G4-Unternehmen, darstellen. Es ist in hohem Maße fraglich, ob verfassungsrechtlich eine Sektoruntersuchung als Rechtsgrundlage für die Durchführung derartiger Eingriffe in das Eigentum als Grundlage herangezogen werden kann.

Folgerungen für die Praxis der Unternehmen

Die für die Praxis der Unternehmen und der Rechtsberatung wesentliche Folgerung aus der Entflechtung von Gemeinschaftsunternehmen im Bereich Walzasphalt auf der Grundlage der Sektoruntersuchung Walzasphalt ist die Erweiterung des Konzepts der Regelvermutung.

Besonders kritisch zu hinterfragen sind hier die Ausdehnungen der Regelvermutung auf Fälle, in denen ein Minderheitsgesellschafter rechtliche und faktische Einflussmöglichkeiten haben soll oder ein weiterer Gesellschafter zwar nicht im selben, aber in einem räumlich eng benachbarten Markt des GUs tätig ist. Der Fall der Einlieferung in den Markt des GUs begründet die Regelvermutung, auch wenn der Gesellschafter selbst weit außerhalb des räumlich relevanten Marktes ansässig ist.

Das BKartA stellt mit seiner auf Erwartungen und Vermutungen basierenden Herangehensweise im wirtschaftlichen Ergebnis die Rechtsfigur des GUs insgesamt in Frage. Denn die der Gesellschafterstellung im GU immanente Rücksichtnahme des Gesellschafters auf die Belange des GUs begründet noch keinen Verstoß gegen das Kartellverbot. So kann zwischen einem GU und seiner Muttergesellschaft ein Wettbewerbsverbot vereinbart werden, dass die ohnehin bestehende Treuepflicht der Gesellschafter konkretisiert.

Hinsichtlich des Einflusses eines Minderheitsgesellschafters kann nicht auf den ohnehin umstrittenen Begriff des wettbewerblich erheblichen Einflusses abgestellt werden. An sich wäre, um die Regelvermutung zu bestätigen, der Nachweis einer faktischen Einflussnahme auf die Geschicke der Beteiligungsgesellschaft erforderlich. Insgesamt ist der Ansatz des BKartA kritisch zu würdigen, weil eine bestimmte Interessenlage, die das BKartA grundsätzlich unterstellt, schon die Regelvermutung erfüllt. So ist auch der Ansatz beim Typ B3, es bestehe immer ein Anreiz, die vertrauensvolle Zusammenarbeit aus dem GU in weitere Märkte zu transportieren, methodisch nicht haltbar.

Das Vorgehen des BKartA im Bereich Walzasphalt dokumentiert das grundsätzlich bestehende Misstrauen des BKartA gegen GUs unter Beteiligung von Wettbewerbern. Gerade im mittelständischen Bereich ist allerdings die Bildung von GUs ein oft probates Mittel, wirtschaftlich vernünftige Ergebnisse mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand zu erzielen. Man wird hier zentral auf den Typ U abstellen müssen und vor allen Dingen für den Mittelstand weitgehende Ausnahme bzw. Freistellungen von der Regelvermutung oder der Erwartungshaltung, nach der Rechtsprechung des BGH, begründen müssen. Insgesamt ist der Praxis bei der Gründung von GUs und insbesondere bei deren Betrieb zur Vorsicht zu raten. Das BKartA ist daran zu erinnern, dass nicht sämtliche Branchen, in denen es GUs zwischen Wettbewerbern gibt, eine derart enge Verflechtung mit einer derart starken Konzentration der stärksten Marktteilnehmer aufweisen wie die Walzasphaltunternehmen.

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