Eine Reihe wichtiger und umstrittener politischer Fragen ist derzeit ungelöst

Gastbeitrag von John Hammond

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Halbzeit bei den Brexit-Verhandlungen: Es geht voran zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich in Bezug auf die Konditionen des Austritts. Aber es ist noch viel zu tun. Ein Überblick.

Die EU hat den Entwurf eines Austrittsabkommens veröffentlicht, und es gibt eine Einigung der Verhandlungsparteien über eine Übergangsphase für die Zeit nach dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs im März kommenden Jahres. Während des Übergangszeitraums, der bis Ende 2020 läuft, sollen sich beide Seiten besser auf den Austritt vorbereiten können und damit die Folgen des Brexits abfedern. Des Weiteren hat der Europäische Rat die Verhandlungsleitlinien für das zukünftige Verhältnis zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich veröffentlicht.

Auch wenn sich die Verhandlungsparteien nunmehr über eine Übergangsfrist einig geworden sind, bedeutet das nicht, dass bis Ende 2020 alles so bleibt, wie es ist. Da das Vereinigte Königreich mit Ablauf des 29.03.2019 kein EU-Mitglied mehr ist, wird dies zwangsläufig auch Rechtsfolgen haben, zum Beispiel wenn nationales Recht an den Status als Mitgliedstaat anknüpft. Auch ist das Austrittsabkommen längst nicht final. Vielmehr sind noch einige wesentliche Punkte offengeblieben, und es muss sowohl im Vereinigten Königreich als auch in der EU noch von den Parlamenten bestätigt werden.

Nachfolgend ein Überblick, bei welchen Themen eine Einigung erzielt wurde, aber insbesondere auch, welche Themen noch ungeklärt sind und an welchen Stellen Handlungsbedarf für Unternehmen besteht.

Gegenstand der Vereinbarungen

Das Vereinigte Königreich wird bis zum Ablauf der Übergangsfrist weiter als Mitgliedstaat behandelt. Dadurch erhält es Zugang zum Binnenmarkt und wird auch an der Zollunion teilnehmen. Das Vereinigte Königreich bleibt auch an EU-Recht gebunden, ist aber ab dem 30.03.2019 kein EU-Mitglied mehr und hat damit auch keine Stimmrechte in EU-Organen mehr.

Konkret wurde beispielsweise im Hinblick auf Bürgerrechte im Entwurf des Austrittsabkommens vereinbart, dass EU-Bürger und britische Staatsangehörige während der Übergangszeit unter den gleichen Voraussetzungen wie bisher das Recht auf Freizügigkeit haben. Es soll aber schon während der Übergangsphase die Möglichkeit der Beantragung einer Aufenthaltsberechtigung von EU-Bürgern beziehungsweise britischen Staatsangehörigen geschaffen werden.

Auch einige technische Fragen, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen von Waren, sind bereits berücksichtigt. So können beispielsweise alle Waren, die vor Ablauf der Übergangsphase im Vereinigten Königreich oder in der EU in Verkehr gebracht werden, weiterhin zirkuliert werden, bis sie den Endverbraucher erreichen.

Beim Thema Finanzen gab es eine Einigung, dass Großbritannien bis zum Ablauf der Übergangsphase weiter seinen finanziellen Beitrag an Brüssel zahlt. Auch bezüglich eines finanziellen Ausgleichs hinsichtlich des Austritts gibt es eine Übereinkunft.

Welche Themen sind noch offen?

Eine Reihe wichtiger und umstrittener politischer Fragen bleibt aber ungelöst. Ungeklärt ist zum Beispiel die Frage, ob sich das Vereinigte Königreich während der Übergangsphase der Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs unterwirft. Zudem ist eine Möglichkeit zur Verlängerung der Übergangsfrist in dem Austrittsabkommen nicht vorgesehen. Bis zum 31.12.2020 ein neues Handelsabkommen (in Betracht kommen hier Freihandelsabkommen nach Art. 207 AEUV oder Assoziierungsabkommen nach Art. 217 AEUV, in dem die künftigen politischen und Handelsbeziehungen geregelt werden) zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU auszuhandeln stellt durchaus eine zeitliche Herausforderung dar. Das Vereinigte Königreich scheint jedenfalls Zweifel zu haben, dass am Ende der Übergangsphase ein neues Abkommen steht. Nach Informationen aus Regierungskreisen hat das Vereinigte Königreich um eine Verlängerungsoption gebeten. Aus Sicht des Vereinigten Königreichs wird ohne eine solche Verlängerungsoption die „Cliff Edge“, die Klippenkante zum harten, ungeordneten Brexit, nur verschoben. Von einem auf den anderen Tag könnte das Vereinigte Königreich wie ein Staat behandelt werden, mit dem die EU kein Handelsabkommen abgeschlossen hat. Eine Schwierigkeit hinsichtlich einer Verlängerung der Übergangsphase besteht aus EU-Sicht darin, dass sich die EU ab dem 01.01.2021 in einer neuen Haushaltsperiode befindet. Die Verlängerung der Übergangszeit könnte daher die Frage nach weiteren finanziellen Beiträgen des Vereinigten Königreichs zum EU-Haushalt aufwerfen.

Noch keine Einigung gibt es beim Thema „künftige Landesgrenze zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich in Irland“. Die künftigen Beziehungen zwischen Nordirland und der Republik Irland wurden von den Verhandlungsparteien als wichtig genug eingestuft, um ein eigenes Protokoll zum Entwurf des Austrittsabkommens verabschieden. Die irische Wirtschaft hat von der EU-Mitgliedschaft ohne physische Grenzen zwischen Nordirland und der Republik Irland profitiert. Die offene Grenze und die grenzüberschreitende politische Zusammenarbeit waren der Schlüssel zum Karfreitagsabkommen, mit dem die Zeit der zivilen Gewalt in Nordirland, der sogenannten Troubles, beendet wurde. Die Schaffung einer harten EU-Außengrenze zwischen Nordirland und der Republik Irland stellt eine ernste Bedrohung für Frieden und Stabilität in Nordirland dar. Die britische Regierung hatte im Dezember 2017 beim EU-Gipfel die Bereitschaft signalisiert, die offene Grenze aufrechtzuerhalten, hat aber noch keinen Vorschlag gemacht, wie dies beim Verlassen der EU erreicht werden kann. Im Austrittsabkommen ist auf Vorschlag der EU vorgesehen, dass Nordirland in der Zollunion verbleibt und dass Nordirland ein gemeinsamer Regelungsraum der EU und des Vereinigten Königreichs wird. Wenn der Rest des Vereinigten Königreichs nach dem Brexit nicht in der Zollunion oder im Binnenmarkt verbleibt, würde diese Variante zur Schaffung einer Zollgrenze zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs führen. Dies ist für die DUP (Democratic Unionist Party), auf deren Unterstützung die Konservative Partei in Westminster angewiesen ist, nicht akzeptabel.

Status quo?

Es ist häufig zu lesen, dass mit der Vereinbarung der Übergangsphase der Status quo zugunsten beider Verhandlungsparteien erhalten bleiben soll.

Doch ab 30.03.2019 ist das Vereinigte Königreich kein EU-Mitglied mehr, und dies wird auch rechtliche Folgen haben. Bis dahin sollten Unternehmen relevante Verträge geprüft und gegebenenfalls geändert haben. Zum Beispiel werden die durch Bezugnahme auf die EU definierten Vertriebsgebiete nicht mehr das Vereinigte Königreich umfassen. Zudem gelten Freihandelsabkommen der EU mit Drittstaaten möglicherweise nicht mehr für das Vereinigte Königreich, so etwa das Abkommen mit Südkorea. Dies kann beispielsweise Konsequenzen für die Lieferkette, die Anwendung von Ursprungsregeln und die Qualifizierung als Präferenzzölle haben.

Der Entwurf des Austrittsvertrags bezieht sich auf das gesamte EU-Recht, das mit Ablauf der Übergangsphase keine Anwendung mehr im Vereinigten Königreich findet. Er ändert aber nicht automatisch das innerstaatliche Recht jedes EU-Mitgliedstaats. Verweise auf EU-Mitgliedstaaten im deutschen Steuerrecht werden sodann Großbritannien nicht mehr miteinschließen.

Nicht geklärt ist darüber hinaus, wie das Vereinigte Königreich das EU-Recht während der Übergangszeit im Vereinigten Königreich umsetzen wird. Das Gesetz der Europäischen Gemeinschaften von 1972, das EU-Vorschriften, Gerichtsentscheidungen etc. in britisches Recht umsetzt, soll nach Plänen der Regierung des Vereinigten Königreichs zum 30.03.2019 aufgehoben werden. Bislang hat aber die britische Regierung noch keinen Vorschlag gemacht, wie die weitere Anwendung des EU-Rechts während der Übergangsphase rechtlich gelöst werden kann.

Risiken und Fazit

Es besteht weiterhin die Gefahr, dass die Austrittsvereinbarung nicht endgültig zustande kommt, und damit auch die Gefahr eines harten, ungeordneten Brexits. Selbst wenn die britische Regierung mit der EU eine Einigung erzielt, gibt es das politische Risiko, dass der Entwurf nicht vom Parlament des Vereinigten Königreichs gebilligt wird. Die Vereinbarung zur Grenze zu Nordirland könnte hierfür das Zünglein an der Waage sein.

Fazit: Es sind noch einige sehr schwierige Probleme zu lösen. Dafür bleibt relativ wenig Zeit. Im besten Fall verschiebt die Übergangsvereinbarung das Risiko einer „Cliff Edge“ zum harten Brexit nur auf den 31.12.2020.

Die Veröffentlichung der Verhandlungsleitlinien zum künftigen Verhältnis zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU sind nur ein allererster Schritt. Es gibt immer noch keine Klarheit über die künftigen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU. Hier ist das Vereinigte Königreich eindeutig am Zug, einen Vorschlag zu unterbreiten.

john.hammond@cms-hs.com

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