Im Blickpunkt: Neue Hindernisse bei der Schaffung des Einheitlichen Patentgerichts

Ein Gastbeitrag von Dr. sc. nat. H. Ulrich Dörries

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Die geplante Etablierung einer einheitlichen europäischen Patentgerichtsbarkeit (Einheitliches Patentgericht – EPG) stellt für viele am Patentschutz Interessierte in Anwaltschaft, Wirtschaft und Justizkreisen einen lange herbeigesehnten Meilenstein auf dem Weg zur Schaffung eines effizienten Systems zur Erlangung, Durchsetzung und Überprüfung europäischer Patente dar. Der völkerrechtliche Vertrag, mit dem die Grundlagen für das EPG geschaffen wurden, nämlich das Übereinkommen über ein Einheitlichen Patentgericht (EPGÜ; in der originalen englischen Fassung als „UPC Agreement“ bezeichnet), ist das Kernstück eines 2012 vereinbarten Regelwerks, das auch als Einheitliches Patent-Paket („Unitary Patent Package“) bekannt ist. Die lange Zeit vorherrschende Euphorie, betreffend die scheinbar unmittelbar bevorstehende Einführung dieses neuen Systems, das ferner mit der Einführung eines neuen Europäischen Patents mit einheitlicher Wirkung einhergehen soll, hat jedoch zuletzt empfindliche Dämpfer hinnehmen müssen.

Das EPG – gemeinsame Patentgerichtsbarkeit der Vertragsstaaten

Das noch zu schaffende EPG ist als gemeinsames Gericht der Vertragsstaaten konzipiert und somit Bestandteil des in diesen Staaten jeweils geltenden Rechtssystems. Es wird die ausschließliche Zuständigkeit für die bereits derzeit vom Europäischen Patentamt (EPA) erteilten „klassischen“ europäischen Patente besitzen (bei denen es sich um sogenannte Bündelpatente handelt, also Patente, die sich nach einem einheitlichen Prüfungsverfahren nach der Erteilung in einzelne nationale Teile aufspalten). Es wird ferner ausschließlich zuständig sein für die noch einzuführenden (und dann ebenfalls vom EPA erteilten) europäischen Patente mit einheitlicher Wirkung („European patents with unitary effect“). Diese ausschließliche Zuständigkeit wird allerdings während einer Übergangszeit von mindestens sieben (maximal 14) Jahren nach Inkrafttreten des EPGÜ gewissen Ausnahmen unterliegen. So können während dieser Zeit Patentverletzungsklagen wie auch Patentnichtigkeitsklagen, betreffend klassische europäische Patente (also solche ohne einheitliche Wirkung), auch noch vor den nationalen Gerichten erhoben werden. Patentinhaber oder Patentanmelder können während dieser Phase ferner für eine Nichtzuständigkeit des EPG für von ihnen entsprechend benannte klassische europäische Patente oder Patentanmeldungen optieren („Opting-out“). Zudem wird das EPG keinerlei Zuständigkeit für solche Patente erlangen, die von den nationalen Patentämtern erteilt wurden oder werden. Die Urteile des EPGÜ werden unmittelbare Rechtswirkung in jenen Vertragsstaaten erlangen, die zum betreffenden Zeitpunkt das EPGÜ ratifiziert haben.

Nach dem EPGÜ wird die erste Instanz des EPG eine Zentralkammer in Paris und Außenstellen der Zentralkammer in London und München haben. Sie wird ferner in den einzelnen Vertragsstaaten angesiedelte Lokalkammern haben (in Deutschland mit Sitz in Düsseldorf, Hamburg, Mannheim und München) und, sofern bestimmte Vertragsstaaten sich darauf verständigen (etwa weil Lokalkammern in diesen Ländern aufgrund zu erwartender geringer Fallzahlen nicht sinnvoll erscheinen), Regionalkammern (derzeit nur die geplante „Nordic-Baltic Regional Division“ mit Sitz in Stockholm). Die Berufungsinstanz soll in Luxemburg angesiedelt werden.

Als möglicher verbliebener Stolperstein für die endgültige Schaffung des EPG (das derzeit federführend vom sogenannten „UPC Preparatory Committee“ vorbereitet wird) hat sich in letzter Zeit jedoch zunehmend der Ratifizierungsprozess herausgestellt. Das EPGÜ muss nämlich von mindestens 13 Vertragsstaaten ratifiziert werden, bevor es in Kraft treten kann, unter anderem auch vom Vereinigten Königreich (Großbritannien und Nordirland) und Deutschland.

Immer wieder Verzögerungen im Zeitplan

Nachdem es lange Zeit hieß, das Gericht könne vermutlich Anfang 2017 seine Tore öffnen (so noch der Vorsitzende des Preparatory Committee, Alexander Ramsay, in einem Interview im Dezember 2015), mussten die entsprechenden Prognosen in der Folge immer wieder korrigiert werden. Nach dem letzten Treffen des Preparatory Committee am 15.03.2017 wurde „Dezember 2017“ als Zieltermin genannt, zu dem das EPG seine Arbeit aufnehmen sollte. Am 07.06.2017 musste das Preparatory Committee auf der EPG-Homepage nun eingestehen, dass aufgrund von Verzögerungen im Ratifizierungsprozess in bestimmten Vertragsstaaten auch dieser Zeitplan nicht eingehalten werden könne. Ein neuer möglicher Termin wurde nicht genannt.

Unsicherheiten nach Brexit-Referendum und den Parlamentswahlen in Großbritannien

Ein schwerer Schlag für die Befürworter einer schnellen Umsetzung des EPGÜ war zweifellos das britische Brexit-Referendum. Einige Experten erklärten daraufhin den Prozess umgehend für erledigt. Andere hingegen, insbesondere aus Kreisen englischer Solicitor-Kanzleien, demonstrierten weiter Zuversicht und erklärten unter anderem unter Zuhilfenahme eigens dafür gefertigter externer Rechtsgutachten, dass das Vereinigte Königreich auch nach einem Austritt aus der Europäischen Union weiter am Projekt EPG teilnehmen könne. Neben diesen schwierigen und derzeit nicht abschließend geklärten rechtlichen Fragen besteht auch in praktischer Hinsicht große allgemeine Unsicherheit. So ist etwa unklar, ob jetzt nicht für die in London angesiedelte Außenstelle der Zentralkammer, die insbesondere mit Patenten im Bereich Chemie, Pharmazeutika und Biotechnologie befasst sein soll, ein neuer Sitz in einem Vertragsstaat gesucht werden muss. Auch stellt sich die Frage, ob das neue System gegebenenfalls auch ohne die Teilnahme des Vereinigten Königreichs noch hinreichende Attraktivität bei den Nutzern haben wird. Entsprechend gab und gibt es Stimmen, die empfehlen, das ganze Konstrukt neu zu überdenken, um dann in einem möglicherweise noch größeren Wurf ein Gericht zu schaffen, dass für alle Vertragsstaaten des EPÜ zuständig ist. Die Schaffung eines solchen Gerichts würde allerdings zweifellos erst nach vielen weiteren Jahren mühevollen Verhandelns ins Leben gerufen werden können, sofern eine Einigung überhaupt zu erzielen wäre.

Trotz des Brexit-Referendums hatte die britische Regierung zwischenzeitlich (und für viele einigermaßen überraschend) angekündigt, das EPGÜ ratifizieren zu wollen. Dieser Ankündigung ist sie bisher allerdings nicht nachgekommen. Ob es in naher Zukunft dazu kommen wird, ist angesichts der nach der Parlamentswahl anstehenden schwierigen Regierungsbildung, der bevorstehenden Sommerpause und der Unsicherheit, ob nun ein harter oder doch eher ein weicher Brexit angestrebt wird, derzeit nicht abzusehen.

Möglicherweise noch größere Unwägbarkeiten als die durch den Brexit verursachten kommen nunmehr jedoch von einem Vertragsstaat, von dem man das wohl am wenigsten erwartet hätte.

Bundesverfassungsgericht schockt die Verfechter des EPG

Die Ratifizierung durch die Bundesrepublik Deutschland galt bisher als sicher. Zwar hinkte man auch hierzulande dem ursprünglich angedachten Zeitplan hinterher, aber immerhin hatten die notwendigen Gesetze zur Umsetzung des EPGÜ in nationales Recht zuletzt den Bundesrat passiert, so dass es lediglich der Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten und der Hinterlegung der Ratifizierungsurkunde beim EU-Rat bedurft hätte.

Es kam daher einem mittleren Beben gleich, als kürzlich bekanntwurde, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits im April 2017 den Bundespräsidenten gebeten hat, die für die Ratifizierung des EPGÜ notwendigen Bundesgesetze bis auf weiteres nicht zu unterschreiben (um es ihm aus möglicher Zeitnot heraus nicht schlechterdings untersagen zu müssen). Hintergrund dieser Bitte ist eine anhängige Verfassungsbeschwerde, begleitet von einem Eilantrag, durch eine namentlich nicht bekannte und nicht anwaltlich vertretene Einzelperson, die sich dem Vernehmen nach sowohl gegen die deutsche Gesetzgebung zur Umsetzung des EPGÜ als auch gegen das EPGÜ selbst richtet.

Seit Bekanntwerden dieser Entwicklung gibt es viele Spekulationen, auf welche Gründe sich die Verfassungsbeschwerde wohl konkret stützen mag. Häufig genannt werden die auch von manch anderer Seite monierten strukturellen Defizite des EPA, dessen Beschwerdekammern vielfach als nicht hinreichend unabhängig gegenüber der Einflussnahme durch den EPA-Präsidenten angesehen werden. Auch die Frage des effektiven Rechtsschutzes vor den Beschwerdekammern des EPA, der offenbar auch in anderen derzeit anhängigen Verfassungsbeschwerden bemängelt wird, wird als möglicher Grund diskutiert.

Wie geht es jetzt weiter?

Wann das BVerfG entscheiden wird, lässt sich nicht verlässlich vorhersagen. Es ist aber wohl durchaus realistisch, dass eine Entscheidung nicht vor Ende des Jahres ergehen wird.

Wie das BVerfG entscheiden wird, ist derzeit noch weniger klar. Was sich derzeit sagen lässt, ist lediglich, dass das BVerfG mit seiner Bitte wohl nicht an das Bundespräsidialamt herangetreten wäre, wenn es die in Rede stehende Klage als offensichtlich unbegründet ansehen würde.

Nach dem anfänglichen Schock beruhigen die Befürworter des EPG, eine Verfassungswidrigkeit der Verträge und der Umsetzungsgesetze sei nicht erkennbar. Dabei wird auch auf bereits ergangene Urteile des EuGH gegenüber Klagen Spaniens gegen das EPGÜ verwiesen, die diese Auffassung stützen würden.

Aufhorchen lassen allerdings die Äußerungen von Prof. Dr. Siegfried Broß, einem ehemaligen Richter am BVerfG und am Patentsenat des BGH. Dr. Broß vertritt unter anderem die Auffassung, die fehlende Unabhängigkeit der Beschwerdekammern des EPA und die fehlende Möglichkeit, die Entscheidungen des EPA durch ein ordentliches Gericht überprüfen zu lassen, führten zu einem Fehlen effektiven Rechtsschutzes. Ferner gäbe es ein verfassungsrechtlich problematisches Ungleichgewicht zwischen Patentinhabern einerseits, die sich mit etwaigen für sie negativen Entscheidungen der Beschwerdekammern abzufinden hätten, und Einsprechenden andererseits, denen bei etwaiger Abweisung ihrer Einsprüche noch der Weg über nationale Nichtigkeitsklagen eröffnet sei. Die Regelungen zum europäischen Patent mit einheitlicher Wirkung und das EPGÜ seien damit ebenfalls problematisch.

Ob die Ansicht von Prof. Broß tatsächlich das Denken des zuständigen Senats beim BVerfG widerspiegelt oder nur eine extreme Einzelstimme ist, bleibt abzuwarten. Die anstehende Entscheidung des BVerfG hat jedenfalls durchaus gewaltige potentielle Sprengkraft sowohl für das zukünftige als auch das derzeitige Patentsystem. Sollte das Gericht die Strukturen beim EPA als verfassungswidrig einstufen, werden möglicherweise grundlegende Reformen innerhalb der Europäischen Patentorganisation notwendig werden, um es Deutschland zu ermöglichen, Mitglied zu bleiben. Die Dimension der daraus möglicherweise erwachsenden Probleme hätte durchaus das Potential, die sich aus dem Brexit ergebenden Schwierigkeiten und Verzögerungen deutlich in den Schatten zu stellen.

ulrich.doerries@df-mp.com

 

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