Im Blickpunkt: EuGH zeigt AGG-Hoppern klare Grenzen auf
Von Dr. Marc Spielberger und Claudia Kuhn

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Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) feiert im August 2016 sein zehnjähriges Jubiläum. Zwar blieb die erwartete Klageflut erfolgloser Stellenbewerber bisher aus. Jedoch gibt es seit Inkrafttreten des AGG einige Personen, die sich ganz gezielt auf benachteiligungsindizierende Stellenausschreibungen bewerben, um nach der anvisierten Absage eine vermeintliche Diskriminierung anzugreifen, um schließlich sogar gerichtlich Entschädigungsansprüche geltend zu machen. Die daraus für Unternehmen resultierenden lästigen Verfahren führen zu in der 1. Instanz selbst zu tragenden Anwalts- und Verfahrenskosten und gegebenenfalls Entschädigungs- oder Vergleichszahlungen. Es ist daher für jeden Arbeitgeber eine höchst unerfreuliche Sache, wenn er zur Zielscheibe eines sogenannten „AGG-Hoppers“ geworden ist. Dem hat der EuGH nun mit seiner Entscheidung vom 28.07.2016 (C-423/15) einen Riegel vorgeschoben.

Ausgangslage

Als sogenannte „AGG-Hopper“ bezeichnet man Bewerber, die sich trotz fehlender Qualifikation auf eine ausgeschriebene Stelle, an der sie überhaupt nicht interessiert sind, bewerben, um nach der erwarteten Absage Entschädigungs- und/oder Schadensersatzansprüche nach § 15 AGG zu erheben, weil die Stellenanzeige Formulierungen enthält, die einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des § 3 i.V.m. § 1 AGG nahelegen.

Dass Scheinbewerbern ein Schadensersatzanspruch nicht zustehen soll, erscheint dem allgemeinen Rechtsempfinden nach einleuchtend. Auch mit dieser Frage befasste Instanzgerichte waren teilweise bislang schon der Meinung, dass eine nicht ernstgemeinte Bewerbung keine Grundlage für einen Schadensersatzanspruch sein könne. Das Gesetz selbst sieht jedoch keine Ausnahme für nicht ernstgemeinte Bewerbungen vor. Wie lässt sich nun, dogmatisch sauber, der Ausschluss eines Anspruchs bei Scheinbewerbern begründen?

Darüber bestand lange Zeit Unsicherheit. Die Rechtsprechung zog verschiedene Lösungsansätze in Betracht:

So stellte beispielsweise das LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 29.01.2009 – 4 Sa 346/08) fest, dass einen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung in Geld gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG nur derjenige Bewerber geltend machen kann, der objektiv überhaupt für die in Aussicht gestellte Stelle in Betracht kommt und sich subjektiv ernsthaft beworben hat. Eine „Scheinbewerbung“ zum Zweck der Erlangung eines Entschädigungsanspruchs scheidet aus. Abgestellt wurde somit auf das subjektive Element. Fortgeführt wurde damit eine Entscheidung des BAG aus dem Jahr 1998. In dieser beschäftigte sich das BAG bereits vor Einführung des AGG mit der Thematik der Scheinbewerbung. Im besagten Fall wurden die subjektive Ernsthaftigkeit und die objektive Eignung eines männlichen Bewerbers, der sich auf die Stelle einer kommunalen Gleichstellungsbeauftragten bewarb, ohne die üblichen Bewerbungsunterlagen beigefügt zu haben, verneint. Angeknüpft wurde hierbei an den Bewerberbegriff des § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG. Der Bewerberbegriff wurde somit zu einem auslegungsbedürftigen Rechtsbegriff. Kritik erntete diese Auslegung insbesondere deshalb, weil der Wortlaut des § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG keinerlei Grundlage für eine derartige Auslegung bietet.

Das BAG ruderte daher im Jahr 2010 wieder etwas zurück und stellte vielmehr auf die Frage ab, ob eine „vergleichbare Situation“ i.S.v. § 3 I 1 AGG anzunehmen sei (BAG, Urteil vom 18.03.2010 – 8 AZR 77/09). Das Vorliegen einer vergleichbaren Situation setzt voraus, dass der Kläger objektiv für die ausgeschriebene Position geeignet ist. Auch ließ das BAG in einigen darauffolgenden Entscheidungen ausdrücklich offen, ob die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung als Tatbestandsvoraussetzung herangezogen werden kann.

In den Jahren 2011/2012 knüpften zunächst das BVerwG (BVerwG, Urt. v. 3. 3. 2011 − 5 C 16/10) und, dem folgend, das BAG (BAG vom 13.10.2011 – 8 AZR 608/10) den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG an den Gesichtspunkt des Grundsatzes von Treu und Glauben, § 242 BGB an. Im Fall von Ansprüchen nach § 15 AGG kann unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls der Erwerb der Rechtsstellung als Bewerber dann als unredlich erscheinen, wenn die Bewerbung allein deshalb erfolgte, um Entschädigungsansprüche zu erlangen. Dem Anspruch stehe dann eine rechtshindernde Einwendung entgegen. Als negatives Tatbestandsmerkmal wird daher eine umfassende Würdigung und Abwägung des Einzelfalls vorgenommen. Dieser Auffassung folgten dann auch weitere Instanzgerichte.

Sachverhalt

Im Jahr 2009 musste sich das BAG ebenfalls mit dem Problem eines Scheinbewerbers auseinandersetzen. Im März 2009 schrieb eine Versicherungsgesellschaft Trainee-Stellen für Hochschulabsolventen diverser wirtschaftswissenschaftlicher Fachrichtungen sowie Jura aus. Als Anforderungsprofil waren ein sehr guter Hochschulabschluss, der nicht länger als ein Jahr zurückliegt oder innerhalb der nächsten Monate erfolgt, und qualifizierte, berufsorientierte Praxiserfahrung angegeben. Für Bewerbungen im Bereich Jura wurden zudem zwei erfolgreich absolvierte Staatsexamina und eine arbeitsrechtliche Ausrichtung oder medizinische Kenntnisse verlangt.

Der spätere Kläger bewarb sich um eine Trainee-Stelle der Fachrichtung Jura und hob hervor, dass er nicht nur alle in der Ausschreibung genannten Kriterien erfülle, sondern dass er als Rechtsanwalt und ehemaliger leitender Angestellter einer Versicherungsgesellschaft über Führungserfahrung verfüge, er gewohnt sei, Verantwortung zu übernehmen und selbständig zu arbeiten. Zudem betreue er, bedingt durch den Tod seines Vaters, ein umfangreiches medizinrechtliches Mandat. Daher verfüge er im Medizinrecht über einen erweiterten Erfahrungshorizont. Außerdem besuche er einen Fachanwaltskurs für Arbeitsrecht.

Am 19.04. 2009 lehnte die Versicherungsgesellschaft die Bewerbung mangels derzeitiger Beschäftigungsmöglichkeit ab. Am 11.06.2009 machte der spätere Kläger einen Entschädigungsanspruch in Höhe von 14.000,00 Euro durch schriftliche Beschwerde wegen Altersdiskriminierung geltend. Daraufhin lud ihn die Versicherungsgesellschaft für Anfang Juli 2009 zu einem Vorstellungsgespräch bei ihrem Personalleiter ein und wies darauf hin, dass die Absage automatisch generiert worden sei und so nicht ihren Intentionen entsprochen habe. Der spätere Kläger lehnte diese Einladung ab und schlug vor, nach Erfüllung des von ihm geltend gemachten Entschädigungsanspruchs über seine Zukunft bei der Versicherungsgesellschaft zu sprechen. Er erhob dann beim Arbeitsgericht Wiesbaden eine Klage auf Entschädigung in Höhe von 14.000,00 Euro wegen Altersdiskriminierung. Als er anschließend erfuhr, dass die ausgeschriebenen vier Trainee-Stellen ausschließlich mit Frauen besetzt wurden, forderte er eine weitere Entschädigung in Höhe von 3.500,00 Euro aufgrund einer Diskriminierung wegen des Geschlechts.

Das Arbeitsgericht Wiesbaden wies die Klage ab. Die dagegen beim Hessischen Landesarbeitsgericht eingelegte Berufung blieb ebenfalls ohne Erfolg. Daraufhin legte der Kläger Revision zum vorlegenden Gericht, dem BAG, ein.

Vorlage des BAG – Entscheidung des EuGH

Da der Kläger aufgrund der von ihm eigens betonten Führungserfahrung per se schon nicht als Trainee in Frage kam und zudem die Einladung zum Vorstellungsgespräch ausgeschlagen hatte, sah ihn das BAG nicht als „Bewerber“ i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG an. Da das Unionsrecht jedoch nicht den „Bewerber“ schützt, sondern den „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger (…) Erwerbstätigkeit“, setzte das BAG das Verfahren aus und legte dem EuGH zwei Fragen gemäß Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vor [BAG vom 18.06.2015 – 8 AZR 848/13 (A)]:

Sind Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 und Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/54 dahingehend auszulegen, dass auch derjenige „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger Erwerbstätigkeit“ sucht, aus dessen Bewerbung hervorgeht, dass nicht eine Einstellung und Beschäftigung, sondern nur der Status als Bewerber erreicht werden soll, um Entschädigungsansprüche geltend machen zu können?

Falls die erste Frage bejaht wird:

Kann eine Situation, in der der Status als Bewerber nicht im Hinblick auf eine Einstellung und Beschäftigung, sondern zwecks Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen erreicht wurde, nach Unionsrecht als Rechtsmissbrauch bewertet werden?

Kurz zusammengefasst ging es also darum, zu klären, ob auch der Scheinbewerber ein Bewerber im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG darstellt. Falls dies der Fall sein sollte, wäre zu klären gewesen, ob ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG wegen Rechtsmissbrauchs versagt werden kann.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH trennte die Fragen nicht mehr, sondern beantwortete sie zusammengefasst, bestätigte aber die Rechtsauffassung des BAG, wonach rein formalen Bewerbern kein unionsrechtlicher Schutz zukommt. Wer sich nur formal um eine Stelle bewerbe, die er gar nicht erhalten wolle, könne sich nicht auf den Schutz durch die Richtlinien berufen. Alles andere sei unvereinbar mit dem Ziel der Richtlinien, wonach jedem beim „Zugang zur Beschäftigung oder abhängiger Erwerbstätigkeit“ im Sinne der Bestimmungen wirksamer Schutz bei Diskriminierungen geboten werde. Ein Scheinbewerber könne zudem unter derartigen Umständen weder als Opfer i.S.v. Art. 17 der Richtlinie 2000/78 und Art. 25 der Richtlinie 2006/54 noch als eine Person, der ein Schaden entstanden ist, i.S.v. Art. 18 der Richtlinie 2006/54, angesehen werden. Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung darf sich niemand in betrügerischer oder missbräuchlicher Weise auf die Rechtsvorschriften der EU berufen. Die Feststellung eines missbräuchlichen Verhaltens verlangt das Vorliegen eines objektiven und eines subjektiven Tatbestandsmerkmals. Zum Beweis für das Vorliegen des zweiten Tatbestandsmerkmals, das auf die Absicht der Handelnden abstellt, kann unter anderem der rein künstliche Charakter der fraglichen Handlungen berücksichtigt werden. Es ist dann Sache des nationalen Gerichts, gemäß den Beweisregeln des nationalen Rechts – soweit dadurch die Wirksamkeit des Unionsrechts nicht beeinträchtigt wird – festzustellen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen eines missbräuchlichen Verhaltens im Ausgangsverfahren erfüllt sind.

Praxisfolgen

Die Entscheidung des EuGH ist ein wichtiger Meilenstein zur Eindämmung des „Scheinbewerbungsgewerbes“ einiger „Berufskläger“, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten wollen. Dem EuGH ist vollumfänglich zu folgen. Wer eine Bewerbung nicht ernst meint und nur Fehler des Arbeitgebers im Bewerbungsverfahren finanziell ausnutzen will, bedarf keines Diskriminierungsschutzes. Das AGG dient nicht cleveren Geschäftemachern, sondern echten Diskriminierungsopfern. Ob die Richtlinie Scheinbewerber schon tatbestandlich oder nur wegen Rechtsmissbrauchs nicht schützt, bleibt offen. Das BAG hatte dies hier im Vorlagebeschluss zwar getrennt, der EUGH aber beides vermengt. Im Ergebnis ist das für die Praxis auch weniger relevant. Arbeitgeber werden sich nun effektiv zur Wehr setzen können, und es ist zu erwarten, dass Scheinbewerbungen auf fehlerhafte oder missinterpretierbare Annoncen im Wesentlichen ins Archiv für die Rechtsgeschichte wandern.

Hinweis der Redaktion:
In der kommenden Ausgabe des Deutschen AnwaltSpiegels gibt Dr. Anke Freckmann einen Überblick über zehn Jahre AGG-Gesetz. (tw)

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