Zufluss von Kapitaleinnahmen aus Schneeballsystemen: BFH bestätigt bisherige Rechtsprechung
Von Claudia Weinhold und Dr. Florian Egger
Der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat mit seinem Urteil vom 11.02.2014 (Az. VIII R 25/12) seine bisherige, in früheren Urteilen (etwa Urteil vom 16.03.2010 [Az. VIII R 4/07]) zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung über die Besteuerung von Einkünften aus der Beteiligung an sogenannten Schneeballsystemen bestätigt. Mit diesem Urteil verwirft der BFH auch die vorinstanzliche Rechtsauffassung des Finanzgerichts des Saarlands (Urteil vom 10.05.2012 [Az. 1 K 2327/03]). Die Entscheidung wurde durch den BFH bereits im Jahresbericht 2013 als „in 2014 zu erwartende Entscheidung von besonderer Bedeutung“ angekündigt. Der BFH stellte hierbei die Frage in den Vordergrund, ob ein Anlagebetrüger ein leistungsfähiger und leistungswilliger Schuldner sei.
Der Fall
Der Kläger K hatte mit C 1992 eine Vereinbarung über eine Kapitalanlage von ursprünglich 50.000 DM geschlossen, die durch weitere Einzahlungen bis zum März 1995 auf insgesamt 152.000 DM erhöht wurde. In den ersten fünf Jahren musste der Anleger auf eine Rückzahlung der Anlagesumme verzichten. Die Anlage von K wurde mit Anlagebeträgen von anderen Anlegern zusammengefasst, so dass zwischen 1992 und 1999 insgesamt 6 Millionen DM von über 40 Anlegern eingesammelt wurden. C sollte das Kapital investieren und eine Verzinsung von 12% p.a. erwirtschaften. Zusätzlich sollte ein „Bonus“ von weiteren 12% p.a. gezahlt werden. Die Verwaltung der Anlagegelder sollte durch eine in Vaduz ansässige (wie sich später herausstellte Briefkasten-)Firma erfolgen.
Bereits im Jahr 1994 war ein erheblicher Teil des eingesammelten Anlagekapitals infolge Veruntreuung nicht mehr vorhanden. Durch Einzahlungen von neuen Investoren konnte C bis Mitte 1994 alle Zinsansprüche der Gläubiger befriedigen. Da das Anlagekapital im Wesentlichen bereits aufgebraucht war, forderte C die Anleger ab Mitte 1994 auf, die Erträge ohne Auszahlung erneut anzulegen. Jedoch zahlte C auf Verlangen der Anleger in diesem Zeitraum gutgeschriebene Erträge auch aus.
Das Schneeballsystem von C wurde durch das im September 2001 eröffnete Insolvenzverfahren beendet. Die Ansprüche von K gegenüber C beliefen sich zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung auf etwa 226.000 DM, wovon nach Abschluss des Insolvenzverfahrens ein Betrag von 1.777,40 Euro oder 1,54% ausbezahlt wurden.
Das Urteil
Der BFH wagte durch dieses Urteil weder einen Neuanfang noch eine Neuausrichtung der bisherigen Rechtsprechung. Das vorinstanzliche Urteil des Finanzgerichts des Saarlands hatte unter Würdigung des Einzelfalls einen Schritt in die Richtung gewagt, dass Anleger eines betrügerischen Schneeballsystems dahingehend schützenswert seien, dass sie, wenn sie einerseits den Verlust des Anlagekapitals beklagen müssten, andererseits nicht auch noch durch Steuerforderungen auf nicht (in Barmitteln) zugeflossene Zinserträge belastet werden sollten.
Der Anleger K hatte die ihm im Rahmen seiner Kapitalanlage zustehenden Zinseinkünfte – auch auf Drängen des Betrügers C – zur Wiederanlage verwendet. Voraussetzung für die Annahme, dass es sich um einen Zufluss i.S.d. § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG handelt, ist, dass die Anlage der Zinsen sowohl willentlich wie auch wissentlich durch den Anleger K erfolgte, was im vorliegenden Streitfall unzweifelhaft feststeht. Fraglich ist jedoch, ob der Schuldner C sowohl zahlungsfähig als auch zahlungswillig war. Das Finanzgericht stellt in seiner Urteilsbegründung fest, dass ein Anlagebetrüger kein leistungswilliger und leistungsfähiger Schuldner sei, „sondern das exakte Gegenteil davon“. Es begründet dies damit, dass bei einem Anlagebetrüger der Anleger die Frage nach einem zahlungsfähigen und zahlungswilligen Schuldner erst beantworten könne, wenn die Zahlung durch den Betrüger tatsächlich erfolgt sei. Das Problem, so das Finanzgericht, sei die Deckungslücke zwischen Ansprüchen der Anleger und dem tatsächlichen Kapitalbestand des Anlagebetrügers. Eine bestehende Deckungslücke wäre offensichtlich geworden, wenn sämtliche Anleger die Rückzahlung von Kapital und/oder Zinsen gefordert hätten, und C wäre deutlich vor dem Zusammenbruch des Schneeballsystems außerstande gewesen, den Betrug aufrechtzuerhalten. Daher kam das Finanzgericht zu der Überzeugung, dass es sich nicht um einen leistungsfähigen und leistungswilligen Schuldner handelt, wenn im Zeitpunkt der Gutschrift der thesaurierten Gewinne eine Deckungslücke besteht. Dieser Meinung des Finanzgerichts widersetzt sich der BFH und begründet dies damit, dass die Deckungslücke unbeachtlich sei, da das System funktionierte und die Zahlungsanforderungen der Anleger uneingeschränkt bedient wurden.
Stellungnahme
Der Meinung des BFH kann insoweit nicht gefolgt werden, als im behandelten Einzelfall unseres Erachtens eine stärkere Bewertung der Leistungswilligkeit eines Anlagebetrügers hätte vorgenommen werden müssen. Es ist stark anzuzweifeln, dass ein Anlagebetrüger, dessen ihm anvertraute Gelder bereits nach kurzer Zeit verbraucht waren, als leistungswillig bezeichnet werden kann. Der Leistungswille besteht unseres Erachtens nur dann, wenn der Schuldner die tatsächliche Absicht hat, auch eine Leistung herbeizuführen. Durch das Vorgaukeln von fiktiven Erträgen und das Drängen der Anleger zur teilweisen Wiederanlage derselben zielte der Anlagebetrüger willentlich eben auf genau das Gegenteil ab, nämlich eine Nichtauszahlung der Zinsen. Insofern ist ihm ein tatsächlicher Leistungswille abzusprechen.
Wäre der BFH von seiner bisherigen Rechtsprechung abgewichen und hätte unterstellt, dass eine bestehende Deckungslücke als Kriterium für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit und Leistungswilligkeit des Schuldners bei der Gutschrift von Zinsen herangezogen werden kann, so hätte dies zu einer unsicheren Rechtslage geführt. Dies wird bereits beim Blick auf Geschäftsbanken deutlich, die aufgrund von Fristentransformation in den wenigsten Fällen imstande sind, sämtliche auf einmal fälligen Auszahlungswünsche von Kunden zu bedienen. Eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung hätte möglicherweise dazu geführt, dass auch bei soliden, rechtmäßigen Finanzintermediären aufgrund einer meist bestehenden Deckungslücke Zweifel an der Leistungsfähigkeit und -willigkeit aufgekommen wären und dadurch wiederangelegte Zinserträge der Zuflussbesteuerung entzogen worden wären.
Fazit
Zusammenfassend kann dem Urteil des BFH beigepflichtet werden. Der vorliegende Fall zeigt, dass ein Anlagebetrug – mit den Worten des Finanzgerichts des Saarlands – der „größte anzunehmende Unfall“ ist und der Staat sich vor allem vor dem Hintergrund der Bestrebungen zur Regulierung des Kapitalmarkts und zur Vermeidung von Anlagebetrug grundsätzlich nicht am Leid der Anleger bereichern sollte. Andererseits muss die eigenverantwortliche Anlageentscheidung des Steuerpflichtigen im Vordergrund stehen, und es kann nicht Aufgabe von Steuergesetzgebung oder -rechtsprechung sein, in bestimmten Einzelfällen Schutzmechanismen für fehlerhafte Anlageentscheidungen zu schaffen. Dies sollte, trotz aller Härte des Einzelfalls, auch weiterhin so gehandhabt werden.
Claudia.weinhold@btu-group.de
Florian.egger@btu-group.de
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