Zehn Jahre AGG – Bilanz und Ausblick
Von Dr. Anke Freckmann

Beitrag als PDF (Download)

Zehn Jahre sind nunmehr vergangen, seit das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (auch Antidiskriminierungsgesetz genannt) in Kraft getreten ist. Bereits bei Einführung des Gesetzes war davon auszugehen, dass das Diskriminierungsmerkmal „Alter“ angesichts der großen Zahl arbeitsrechtlicher Regelungen, die nach dem Lebensalter differenzierten, eine zentrale Rolle spielen würde. Dies hat sich bestätigt. Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung blickt auf eine Vielzahl von Verfahren zurück, die Benachteiligungen wegen des Alters zum Gegenstand hatten. Die bei Einführung des Gesetzes befürchtete Klagewelle – das lässt sich heute konstatieren – ist jedoch ausgeblieben. Dieser Beitrag möchte die Gelegenheit des Jubiläums nutzen, Bilanz zu ziehen und einen Ausblick zu wagen.

Was hat sich geändert?

Gerade Regelungen zur Vergütung, dem Urlaub und den Kündigungsfristen haben sich – unterschieden sie nach dem Alter – seither verändert. Hier hat die Rechtsprechung sowohl tarifvertraglichen als auch gesetzlichen Regelungen, die nach dem Alter der Beschäftigten differenzierten, eine Absage erteilt.

So bewertete der EuGH die altersabhängige Staffelung der Grundvergütung im Bundesangestelltentarifvertrag als einen Verstoß gegen das Verbot der Altersdiskriminierung (C-297/10 und C-298/10). Der Rückgriff auf das Kriterium des Dienstalters sei zwar in aller Regel zur Erreichung des legitimen Ziels der Berücksichtigung der Berufserfahrung angemessen; dass die Stufe der Grundvergütung eines Angestellten im öffentlichen Dienst bei der Einstellung anhand des Lebensalters festgesetzt werde, gehe aber über das hinaus, was hierfür erforderlich und angemessen sei.

Das BAG sah in der Regelung des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD a.F., wonach Beschäftigte nach Vollendung ihres 40. Lebensjahres in jedem Kalenderjahr Anspruch auf 30 Arbeitstage Urlaub hatten, während der Urlaubsanspruch bis zur Vollendung des 30. Lebensjahrs nur 26 Arbeitstage und von da bis zur Vollendung des 40. Lebensjahrs nur 29 Arbeitstage betrug, einen Verstoß gegen das Verbot der Altersdiskriminierung (9 AZR 529/10). Aus einer tariflichen Urlaubsstaffelung lasse sich nicht ableiten, dass die Tarifvertragsparteien das Ziel verfolgten, den Schutz älterer Beschäftigter sicherzustellen. Mittlerweile haben die Vertragsparteien des TVöD reagiert und die Urlaubshöhe einheitlich für alle Arbeitnehmer auf 30 Urlaubstage festgelegt.

Ein weiteres Beispiel für die Unvereinbarkeit bestehender arbeitsrechtlicher Regelungen mit dem Verbot der Altersdiskriminierung ist § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB. Danach werden Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahrs des Arbeitnehmers liegen, bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer nicht berücksichtigt. Der EuGH hielt diese Vorschrift ebenfalls wegen Verstoßes gegen das Verbot der Altersdiskriminierung für unwirksam (C-555/07). Das BAG hat die Vorschrift inzwischen für unanwendbar erklärt (2 AZR 714/08). Der Gesetzgeber hat bislang jedoch nicht gehandelt.

Was ist gleich geblieben?

Bei Altersgrenzen, Sozialauswahl und Sozialplänen hat das Antidiskriminierungsgesetz hingegen kaum zu nennenswerten, entscheidenden Veränderungen geführt. Zahlreiche arbeitsrechtliche Regelungen differenzieren auf diesen Gebieten auch heute noch nach dem Lebensalter der Beschäftigten.

So hat der EuGH eine Klausel über die automatische Beendigung von Arbeitsverhältnissen bei Erreichen des Rentenalters für zulässig gehalten (C-45/09). Solche Klauseln seien objektiv und angemessen, da die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen des Rentenalters unmittelbar den jüngeren Arbeitnehmern zugutekomme. Dies gilt im Übrigen unabhängig von der Höhe des Rentenanspruchs (C-141/11). Darüber hinaus hat das BAG entschieden, dass eine im Arbeitsvertrag enthaltene Klausel, wonach das Arbeitsverhältnis mit Vollendung des 65. Lebensjahrs endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, als eine auf den Zeitpunkt des Erreichens der Regelaltersgrenze für den Bezug einer Rente wegen Alters bezogene Befristungsabrede zu verstehen ist (7 AZR 68/14).

Die in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG vorgesehene Berücksichtigung des Lebensalters als Sozialdatum ist nach Auffassung des BAG gerechtfertigt (2 AZR 523/07). Die Vorschrift verfolge ein legitimes Ziel, indem sie ältere Arbeitnehmer schütze, die wegen ihres Alters typischerweise schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt hätten. Weiterhin – so das BAG in derselben Entscheidung – verstoße die Bildung von Altersgruppen bei der Sozialauswahl zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur nicht gegen das Verbot der Altersdiskriminierung. Die Bildung von Altersgruppen vermeide nicht nur eine Überalterung der Belegschaft, sondern wirke auch einer übermäßigen Belastung jüngerer Arbeitnehmer entgegen.

Differenzierungen von Leistungen in Sozialplänen, wie sie auf Grundlage von § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG getroffen werden dürfen, stellen nach Auffassung des BAG keinen Verstoß gegen das Verbot der Altersdiskriminierung dar (1 AZR 743/09). Daher ist es zulässig, Altersstufen für die Bemessung von Abfindungshöhen in Sozialplänen vorzusehen sowie ältere Arbeitnehmer ganz von Sozialplanleistungen auszunehmen, wenn sie nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses und dem Bezug von Arbeitslosengeld rentenberechtigt und somit wirtschaftlich hinreichend abgesichert sind. § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG soll – so das BAG in einer weiteren Entscheidung – sogar dann zur Anwendung kommen, wenn ältere Arbeitnehmer zwar nicht unmittelbar nach dem Bezug von Arbeitslosengeld rentenberechtigt sind, die Abfindung aber ausreichend bemessen ist, um diejenigen wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen, die sie in der Zeit nach der Erfüllung ihres Arbeitslosengeldanspruchs bis zum frühestmöglichen Bezug einer Altersrente erleiden (1 AZR 832/08). Der EuGH hat sich dieser Auffassung angeschlossen (C-152/11). So rechtfertige die Notwendigkeit einer gerechten Verteilung der finanziellen Mittel eines Sozialplans die Minderung der Standardabfindung für rentennahe Arbeitnehmer um 50%.

Jedoch ist bei Altersgrenzen und Sozialauswahl noch nicht das letzte Wort gesprochen. So ist nach wie vor unsicher, ob der zur Bestätigung der Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Altersgrenzen eingeführte § 41 Satz 3 SGB VI tatsächlich unionsrechtskonform ist. Darüber hinaus hat das BAG seine Rechtsprechung zur Bildung von Altersgruppen bei der Sozialauswahl in der Vergangenheit regelmäßig verschärft (vgl. 2 AZR 478/13; 6 AZR 854/11; 2 AZR 352/11; 2 AZR 167/11). Es bleibt abzuwarten, wie die Konkretisierung durch die Gerichte weiter ausfallen wird.

Wie geht es weiter?

Das Verbot der Altersdiskriminierung hat in den zehn Jahren seit seiner Einführung zu keiner grundlegenden Veränderung des Arbeitsrechts geführt. Nach wie vor differenzieren zahlreiche arbeitsrechtliche Regelungen nach dem Lebensalter der Beschäftigten. Insbesondere bei betriebsbedingten Kündigungen erlaubt die Rechtsprechung weitreichende Ausnahmen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat das Jubiläum daher zum Anlass genommen, sich für eine Reform des AGG auszusprechen. Unter anderem sollen die mit einer Ungleichbehandlung wegen des Alters verfolgten legitimen Ziele gesetzlich geregelt werden. Es bleibt abzuwarten, ob und inwiefern sich die Antidiskriminierungsstelle des Bundes mit ihren Forderungen nach einer Reform des AGG wird durchsetzen können.

anke.freckmann@osborneclarke.com

Hinweis der Redaktion: Die Autorin hat den Beitrag verfasst mit Unterstützung von Tobias Meier, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kölner Büro von Osborne Clarke. (tw)

14 replies on “Alter, Alter und nochmals Alter”

Comments are closed.

Aktuelle Beiträge