Lebensphasenorientierte Arbeitszeitgestaltung im Überblick: flexible Langzeit- und Wertkontenmodelle
Von Carsten Brachmann
Eine an den individuellen Lebensphasen der Arbeitnehmer orientierte Arbeitszeitgestaltung stellt einen zunehmend wichtigen Bestandteil eines modernen Personalkonzepts dar und trägt zur Attraktivität des Arbeitgebers bei. Mit der Einführung von Langzeitkonten wird dem Arbeitnehmer auf freiwilliger Basis die Möglichkeit eingeräumt, durch Einbringung von Entgelt- und Arbeitszeitbestandteilen auf einem Langzeitkonto ein Wertguthaben anzusparen, um dies für eine längerfristig bezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung wie etwa ein Sabbatical oder den vorzeitigen oder gleitenden Ruhestand zu verwenden. Die während der Ansparphase eingebrachten Entgeltansprüche werden gestundet und erst in der Freistellungsphase zur Auszahlung fällig. Das Ansparen erfolgt als Bruttosparen steuer- und sozialversicherungsfrei. Steuern und Sozialversicherungsbeiträge werden nachgelagert in der Freistellungsphase fällig.
Rechtliche Rahmenbedingungen
Die bei der Einführung von Langzeitkonten maßgeblich zu beachtenden Rahmenbedingungen sind in den §§ 7, 7b bis f, 23b SGB IV verankert. § 7b SGB IV definiert die „Einführung“ eines Langzeitkontos als Wertguthabenvereinbarung. Die angesammelten Entgelt- und Zeitbestandteile einschließlich der darauf entfallenden Arbeitgebergesamtsozialversicherungsbeiträge werden als „Wertguthaben“ bezeichnet, welches in Geld zu führen ist (§ 7d Abs. 1 SGB IV). Unter Langzeit- und Lebensarbeitszeitkonten werden gemeinhin die Wertkontenmodelle verstanden, die die Voraussetzungen des § 7b SGB IV erfüllen, wobei Langzeitkonten der Freistellung während des Arbeitslebens und Lebensarbeitszeitkonten der Freistellung vor dem Ruhestand dienen. Damit der sozialversicherungsrechtliche Zweck eines Langzeitkontos – Aufrechterhaltung des Sozialversicherungsschutzes während der Freistellung ohne tatsächliche Beschäftigung – gewährleistet ist, müssen für eine Wertguthabenvereinbarung fünf Voraussetzungen vorliegen: 1. Der Aufbau des Wertguthabens erfolgt aufgrund einer schriftlichen Vereinbarung. 2. Die Vereinbarung hat nicht das Ziel der flexiblen Arbeitszeitgestaltung oder des Ausgleichs betrieblicher Arbeitszeitzyklen. 3. Das eingebrachte Arbeitsentgelt ist für Zeiten der Freistellung oder der Arbeitszeitverringerung zu entnehmen. 4. Das Wertguthaben muss durch Arbeitsentgelt aufgebaut werden. 5. Das fällige Freistellungsentgelt muss grundsätzlich 450,00 Euro im Monat übersteigen.
Ein Arbeitnehmer hat keinen gesetzlichen Anspruch auf Errichtung eines Langzeitkontos. Zur Einführung bedarf es einer individual- oder kollektivrechtlichen Vereinbarung. In der Praxis werden die Rahmenbedingungen eines Langzeitkontos regelmäßig in einer Betriebsvereinbarung und die individuellen Konkretisierungen in einer Abrede mit dem Mitarbeiter festgelegt. Dem Betriebsrat steht bei der Einführung und Ausgestaltung von Langzeitkonten insbesondere ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG zu. Tarifgebundene Unternehmen haben mit Blick auf den Tarifvorbehalt des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG zwingend die Tarifvertragslage sowie die oft zu Langzeitkonten durch Öffnungsklauseln für die Betriebsparteien eröffneten Regelungsmöglichkeiten und -vorgaben zu beachten.
Verwendungszweck und Einbringungsquellen
Die Parteien können grundsätzlich frei vereinbaren, für welche Freistellungszwecke das Wertguthaben verwendet werden darf (§ 7c Abs. 2 SGB IV). So können die Verwendung für gesetzliche Freistellungen wie etwa Pflege- und Elternzeit ausgeschlossen und „nur“ Freistellungen für einen vorgezogenen oder gleitenden Ruhestand und/oder für Sabbaticals, Qualifizierungen, Kinderbetreuung vorgesehen werden. Ferner sind die Einbringungsquellen festzulegen, das heißt, mit welcher Ankündigungsfrist welche Entgelt- und Zeitbestandteile in welcher Höhe gespart werden können. Grundsätzlich dürfen alle aus einer Beschäftigung stammenden Arbeitsentgelte und in Entgelt umgerechnete Zeitbestandteile (§ 7d SGB IV) eingebracht werden (also Teile des Gehalts, Einmalzahlungen, Zeitguthaben, Überstunden, Zuschläge). Ob und welche tariflichen Entgeltbestandeile hingegen eingebracht werden dürfen, hängt regelmäßig von dem Inhalt der häufig in Tarifverträgen enthaltenen Öffnungsklauseln für Langzeitkonten ab. Bei Nichtvorliegen einer Öffnungsklausel ist die Einbringung von Tarifentgelt problematisch, da ein Verzicht eines tarifgebundenen Arbeitnehmers auf tarifliches Entgelt zugunsten eines Langzeitkontos nach § 4 Abs. 4 TVG grundsätzlich unwirksam ist. Zwar kann mit guten Gründen dargetan werden, dass die Einbringung für den Arbeitnehmer günstiger sei, wenn er ein Wahlrecht zwischen Auszahlung des Tarifentgelts und Einbringung in das Langzeitkonto hat. Eine höchstrichterliche Rechtsprechung liegt zu diesem Günstigkeitsvergleich jedoch nicht vor, so dass die tariflichen Vorgaben gewahrt und mit der Gewerkschaft eine Öffnungsklausel vereinbart werden sollten.
Aspekte der Freistellungsphase
In der Freistellungsphase besteht das Arbeitsverhältnis fort. Der Arbeitnehmer ist entweder vollständig oder teilweise von der Arbeitsleistung befreit. Der Arbeitgeber hat das Freistellungsgehalt zu zahlen (vgl. zur Höhe § 7 Abs. 1a SGB IV). Neben der Festlegung der Antragsmodalitäten (Mindestfristen, Ablehnungsgründe), der Dauer und der Höhe des Freistellungsgehalts sind unter anderem auch die Themen Entgeltfortzahlung, Urlaub, Sonderzahlungen während der Freistellung zu regeln. Sofern keine explizite Vereinbarung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall erfolgt, ist diese vom Arbeitgeber während der Freistellung nicht zu leisten. Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 EFZG sind nicht erfüllt, da die Arbeitsunfähigkeit angesichts der Freistellung nicht die alleinige Ursache der Arbeitsverhinderung ist. Hinsichtlich Sonderzahlungen bedarf es klarer Regelungen, ob und inwieweit auch während der Freistellung Sonderzahlungen geleistet werden. Wie mit dem gesetzlichen Mindesturlaub des § 3 Abs. 1 BUrlG während der Freistellung verfahren werden darf, ist höchstrichterlich nicht geklärt. Über den vertraglichen Zusatzurlaub hingegen können die Vertragsparteien (Tarif-, Arbeitsvertragsparteien oder bei einem betriebsvereinbarungsoffen ausgestalteten Arbeitsvertrag auch die Betriebsparteien) wirksam disponieren und beispielsweise eine zeitanteilige Verminderung für jeden Freistellungsmonat vereinbaren. Unter Berücksichtigung der jüngsten Entscheidungen des BAG (Urteil vom 07.08.2012 – 9 AZR 353/19) und des EuGH (Urteil vom 08.11.2012 – C-229/11, C-230/11, Beschluss vom 13.06.2013 – C-415/12 ) sowie des Nichtvorliegens eines echten Ruhens während der Freistellung dürfte nach hiesiger Ansicht eine differenzierte Regelung zulässig sein, welche auch den gesetzlichen Urlaub pro rata temporis an die bestehende oder fehlende Arbeitspflicht anpasst mit der Maßgabe, dass vor der Freistellung entstandene Urlaubsansprüche unberührt bleiben. Schließlich dürfen in einer Betriebsvereinbarung Regelungen zur Kapitalanlage (§ 7d SGB IV), zur Übertragung, zu Störfällen (§§ 7f, 23b SGB IV) sowie zur erforderlichen Insolvenzsicherung (§ 7e SGB IV) nicht fehlen.
Langzeitkonten werden als Vorruhestandsmodell und als flexibles Instrument während des laufenden Arbeitsverhältnisses in Zukunft auch in mittelständischen Unternehmen weiter an Bedeutung zunehmen. Bei der Umsetzung ist auf die Einhaltung der zahlreichen sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben, eine handhabbare Administrierbarkeit sowie auf eine Harmonisierung mit den für das Unternehmen geltenden Regelungen zu achten.
carsten.brachmann@ogletreedeakins.com
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