Erreichbarkeit und Rückrufmöglichkeiten im Urlaub
Ein Gastbeitrag von Dr. Gerlind Wisskirchen und Jan Schwindling
Für 67% der Beschäftigten in Deutschland ist es normal, während des Urlaubs auf dienstliche Anrufe, E-Mails oder Kurznachrichten zu antworten. Die Gestaltung der Arbeitsorganisation ist derart einfach geworden, dass es Beschäftigte oft wenig stört, kurz Berufliches zu regeln. Interessant ist aber, dass von der jüngeren Generation der Arbeitnehmer immerhin 51% komplett abschalten, während von der älteren Generation nur 26% der Beschäftigten unerreichbar sind, so eine aktuelle Studie der Bitkom.
In den meisten Fällen besteht keine Verpflichtung, im Urlaub erreichbar zu sein, dennoch bieten viele Arbeitnehmer „freiwillig“ an, dass Vorgesetzte, Kunden und Kollegen sie auch im Urlaub kontaktieren dürfen. Am seltensten machen davon tatsächlich die Vorgesetzten mit 19% Gebrauch, während 63% der Störungen im Urlaub auf Kollegen zurückzuführen sind. Um den Mitarbeitern ein Abschalten von der Arbeit zu ermöglichen, ordnen immer mehr Unternehmen die Unerreichbarkeit im Urlaub an.
Erteilung des Urlaubs und Widerrufsmöglichkeiten
Grundsätzlich gilt: Für den Arbeitgeber gibt es keine Möglichkeit, die Erreichbarkeit des Arbeitnehmers im Urlaub anzuordnen oder ihn aus dem Urlaub zurückzurufen. Zwar kann der Arbeitgeber im Rahmen des Direktionsrechts die Erreichbarkeit eines Arbeitnehmers nach Feierabend oder im Rahmen von Gleitzeit anordnen, aber dies gilt nicht für die Anordnung der Erreichbarkeit im Urlaub als Minusmaßnahme zur Rückkehrpflicht. Der Zweck des gesetzlich angeordneten Mindesturlaubs besteht darin, Arbeitnehmern die Gelegenheit zur selbstbestimmten Erholung von mindestens vier Wochen im Jahr zu gewähren.
Der Arbeitgeber erfüllt den Urlaubsanspruch allerdings nur bei einer unwiderruflichen Freistellung von der Arbeitsverpflichtung. Indem er den Urlaub gewährt, erteilt der Arbeitgeber seinen Angestellten eine solche unwiderrufliche Freistellung. Der Arbeitgeber kann diese nicht einseitig widerrufen und den Urlaub seiner Angestellten somit nicht vorzeitig beenden. Aus den gleichen Erwägungen besteht grundsätzlich also kein Rückrufrecht des Arbeitgebers. Zahlreiche Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG) untermauern diese Rechtslage. Etwas anderes gilt nur im öffentlichen Dienst, bei dem etwa ein beschränktes Widerrufsrecht für Notfälle gesetzlich normiert ist (siehe § 23 Abs. 1 UrlV Bayern).
Für Arbeitgeber wichtig zu wissen: Selbst bei einer vorherigen Vereinbarung über Rückkehrpflichten aus dem Urlaub darf der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht zurückrufen. Eine solche Klausel verstößt gegen zwingendes Urlaubsrecht und ist gemäß § 13 BUrlG unwirksam. Der Arbeitgeber hat vor der Gewährung des Urlaubs die Möglichkeit, die Vereinbarkeit mit betrieblichen Belangen zu prüfen, er kann den Urlaubswunsch ablehnen oder die Gewährung von der Möglichkeit einer Urlaubsvertretung abhängig machen. Ein nachträglicher „Rückruf“ ist daher nicht erlaubt.
Das BAG begründete seine diesbezügliche Entscheidung wie folgt: Zweck der Anordnung der Erreichbarkeit kann es nur sein, den Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung heranzuziehen. Wenn der Arbeitnehmer ständig damit rechnen muss, angerufen zu werden, oder mit regelmäßigen kurzen Arbeitseinsätzen konfrontiert wird, stellt sich die Frage, ob der Urlaubszweck überhaupt erreicht wird.
Neuerteilung des Urlaubs
Wenn der Arbeitnehmer auf Veranlassung des Arbeitgebers mehrmals täglich zum Smartphone greifen muss, muss der Urlaub neu gewährt werden. Ob dieser Fall eintritt, hängt dabei davon ab, in welchem Umfang ein Arbeitnehmer beansprucht wird und ob die Arbeitsaufnahme auf eigene Initiative oder nach Aufforderung des Arbeitgebers erfolgt. Ebenfalls zu berücksichtigen ist auch die Stellung des Arbeitnehmers im Unternehmen. Zwar ist der Begriff der „Freiwilligkeit“ im Bereich des Arbeitsvertragsrechts nur beschränkt aussagekräftig, da oftmals ständige Erreichbarkeit „erwartet“ wird oder üblich ist, ohne dass dies explizit erwähnt wurde [vgl. Falder (2010): Immer erreichbar. Arbeitszeit und Urlaubsrecht in Zeiten des technologischen Wandels.] Doch kann bei einer freiwilligen Tätigkeitsaufnahme in geringem Umfang (Anruf zur Vereinbarung eines Termins nach dem Urlaub oder Beantwortung einer Frage von einem Kollegen) nicht von einer Beeinträchtigung des Urlaubszwecks ausgegangen werden. Erfolgt nur eine einmalige oder kurzfristige Inanspruchnahme des Arbeitnehmers im Urlaub, gelten nach überwiegender Ansicht die Grundsätze zur Rufbereitschaft. Danach ist die Zeit, in der der Arbeitnehmer erreichbar ist, Freizeit. Erst und nur solange der Arbeitnehmer in dieser Zeit auf Veranlassung des Arbeitgebers tatsächlich tätig wird und eine über das Maß der Geringfügigkeit hinausgehende Arbeitsleistung erbringt, ist von Arbeitszeit auszugehen [vgl. Besgen (2017): Stress am Arbeitsplatz – Ständige Erreichbarkeit und Freizeitarbeit aus arbeitsrechtlicher Sicht].
Zusammenhängende Gewährung des Urlaubs
Wird der Arbeitnehmer zu einer nicht nur unerheblichen Tätigkeit aufgefordert, stellt sich die Frage, ob damit nur die einzelnen Tage erstattet werden oder der gesamte verbleibende Resturlaub neu zu gewähren ist. Letzteres wird zum Teil mit dem Argument bejaht, dass durch die Arbeitsaufnahme der gesamte Urlaubszweck verlorengehen kann, was gegen § 7 BUrlG verstoßen könnte. Der Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf mindestens zwei aufeinanderfolgende Urlaubswochen. Dagegen ist einzuwenden, dass es nicht die Intention des Arbeitgebers ist, den Urlaub nach einer Inanspruchnahme ersatzlos zu streichen und den Arbeitnehmer zurückzurufen. Ansonsten könnte der Arbeitnehmer durch freiwillige Aufnahme der Arbeitstätigkeit und die konkludente Annahme des Arbeitgebers durch Nichteinschreiten oder Verwertung der Arbeitsergebnisse neue Urlaubsansprüche begründen, während er sich noch am Urlaubsort befindet.
Rückkehrpflichten des Arbeitnehmers und deren Folgen
Von dem Rückrufrecht ist eine Rückkehrpflicht des Arbeitnehmers aus anderen Gründen zu unterscheiden. In Frage kommt beispielsweise eine Anfechtung der Urlaubsgewährung, etwa weil ein nicht berechtigter Mitarbeiter den Urlaubsantrag unterschrieben oder weil der Arbeitnehmer eine Vertretungsregelung vorgetäuscht hat. Ein Anspruch auf zeitnahe Rückkehr aus dem Urlaub kann in echten Notfallsituationen aus § 313 BGB abgeleitet werden. An die Voraussetzungen einer Notmaßnahme sind besonders strenge Anforderungen zu stellen. So kann eine solche Notmaßnahme nur dann vorliegen, wenn die Arbeitskraft des Arbeitnehmers erforderlich ist, um den Zusammenbruch des Unternehmens zu verhindern, und ein Festhalten an der Urlaubsgewährung für den Arbeitgeber unzumutbar ist. Ein Personalengpass wegen unerwarteter Krankheitsausfälle ist jedenfalls nicht ausreichend.
Als Gegenleistung für die Bereitschaft, die Arbeit wieder aufzunehmen, sind dem Arbeitnehmer analog § 670 BGB sämtliche Mehraufwendungen zu erstatten. Dazu zählen unter anderem Buchungskosten, Stornokosten, Rückreisekosten – unter Umständen auch für die Familienangehörigen des Arbeitnehmers – und Mehrkosten eines Hotels bei erneuter Urlaubsgewährung.
Fazit
Der Arbeitnehmer kann sein Diensthandy zu Hause lassen, wenn er im Urlaub ist. Es besteht keine Pflicht des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber oder dem Betriebsrat mitzuteilen, wie und wo er erreichbar ist, denn es besteht grundsätzlich keine arbeitsvertragliche Pflicht, während des Urlaubs erreichbar zu sein oder den Urlaub abzubrechen. Wenn eine Kontaktaufnahme erfolgt, die über das Maß der Geringfügigkeit hinausgeht, ist der Urlaub neu zu erteilen. Die Ungewissheit darüber könnte durch eine aus dem US-amerikanischen Recht bekannte De-minimis-Regelung ausgeräumt werden. Nach einer solchen Regelung des Fair Labor Standard Acts zählt jede betrieblich veranlasste Tätigkeit erst ab einer Dauer von zehn Minuten als Arbeitszeit.
Gerlind.wisskirchen@cms-hs.com
Jan.schwindling@cms-hs.com