BAG: Benachteiligung wegen des Geschlechts bei einer Bewerbung – zur Vergleichsgruppenbildung bei der mittelbaren Diskriminierung nach AGG
Von Dr. Eva Rütz, LL.M.

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Der Fall

Das Bundesarbeitsgericht (BAG; Urteil vom 18.09.2014 – Az. 8 AZR 753/13) hatte sich mit der Frage einer mittelbaren Diskriminierung einer Bewerberin wegen ihres Geschlechts zu befassen.

Die abgelehnte Bewerberin (Klägerin) nahm den Beklagten auf Entschädigung in Höhe von 3.000,00 Euro nach §15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Anspruch.

Die Klägerin ist 1974 geboren, verheiratet und hat ein Kind. Sie verfügt über einen Abschluss als Verwaltungs- und Bürokauffrau. Bei dem Beklagten, einem lokalen Radiosender, bewarb sie sich auf eine im Jahr 2012 in einer Zeitung ausgeschriebenen Stelle als Buchhalterin. Voraussetzung war ausweislich der Anzeige eine abgeschlossene kaufmännische Lehre.

Der Beklagte erteilte der Klägerin eine Absage und verwies darauf, sich für einen anderen Bewerber entschieden zu haben. Auf den der Klägerin zur Entlastung zurückgesandten Bewerbungsunterlagen befand sich indes ein handschriftlicher Vermerk. Dort stand neben der Textzeile „verheiratet, ein Kind“ die handschriftliche Notiz „7 Jahre alt!“. Dieser Vermerk war durchgängig unterstrichen.

Die erstinstanzlichen Entscheidungen

Im Rahmen der beiden erstinstanzlichen Verfahren brachte der Beklagte vor, ausschlaggebend sei ausschließlich die Qualifikation gewesen, die letztlich in der Entscheidung für die Mitbewerberin gemündet habe. Diese sei ebenfalls eine junge Frau, die als Bankkauffrau sowie Steuerfachangestellte und zuletzt auch als geprüfte Bilanzbuchhalterin über bessere Qualifikationen verfüge als die Klägerin. Die Notiz erklärte der Beklagte damit, dass sie ihm lediglich als Information dahingehend gedient habe, dass das Kind der Bewerberin bereits schulpflichtig sei und dadurch auch eine Vollzeitbeschäftigung der Klägerin grundsätzlich möglich gewesen wäre.

Die Klägerin vertrat hingegen die Auffassung, die Notiz indiziere, dass sie aufgrund der Betreuungspflicht für ihr siebenjähriges Kind nicht eingestellt worden sei. Dadurch sei sie aufgrund ihrer Mutterschaft und damit zugleich aufgrund ihres Geschlechts (un)mittelbar diskriminiert.

In der ersten Instanz wurde die Klage durch das Arbeitsgericht Siegen (Urteil vom 22.01.2014 – Az.1 Ca 907/12) abgewiesen. Es fehle an der für eine unmittelbare Diskriminierung erforderlichen Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts. Die Elternschaft selbst sei kein vom AGG verpöntes Merkmal. Eine mittelbare Benachteiligung scheide ebenfalls aus. Denn bilde man eine Vergleichsgruppe zwischen Frauen und Männern mit einem siebenjährigen Kind, so sei nicht davon auszugehen, dass Frauen häufiger nicht eingestellt würden als Männer.

Das Landesarbeitsgericht Hamm (Urteil vom 06.06.2013 – Az.11 Sa 335/13) hingegen sprach der Klägerin die begehrte Entschädigung von 3.000,00 Euro zu. Aus dem Vermerk ergebe sich, dass auf das Problem der Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Berufstätigkeit hingewiesen werden sollte. Dies stelle eine nicht gerechtfertigte mittelbare Diskriminierung wegen des weiblichen Geschlechts im Sinne des § 3 Abs. 2, 1 AGG dar. Frauen seien von diesem Problem der Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Berufstätigkeit häufiger als Männer betroffen. Zur Begründung stützte sich das LAG hinsichtlich der Vergleichsgruppe auf eine Statistik (Mikrozensus) für den Anteil von Ehefrauen mit Kind an der Gesamtzahl der Vollzeitbeschäftigten. Die Vermutung der mittelbaren Diskriminierung sei zuletzt auch nicht durch den Hinweis des Beklagten widerlegt, dass eine junge Frau ohne Kind und mit besseren Qualifikationen eingestellt worden sei.

Die Entscheidung des BAG

Im Ergebnis konnte die Klägerin mit ihrem Begehren auf Zahlung einer Entschädigung vor dem BAG aber nicht durchdringen.

Das BAG verneinte sowohl eine unmittelbare als auch eine mittelbare Diskriminierung der Klägerin.
Zwar betonte das BAG, dass eine besondere Benachteiligung des einen Geschlechts durch ein dem Anschein nach neutrales Kriterium mit einem Verweis auf statistische Erhebung durchaus dargelegt werden könne. Im konkreten Fall sei die vom LAG herangezogene Statistik aber nicht aussagekräftig. Deshalb verwies das BAG den Fall zum LAG zurück und gab diesem auf zu prüfen, ob in dem Verhalten des Beklagten nicht eine unmittelbare Benachteiligung der Klägerin als Frau zu sehen sei, was eine Auslegung des Vermerks auf dem zurückgesandten Lebenslauf erfordere.

Fazit

In der Frage, ob im vorliegenden Fall eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung vorliegt, hat das BAG keine Stellung bezogen, sondern die Klärung dieser Frage schlicht dem LAG im Wege der Zurückverweisung überlassen.

Nicht verständlich ist vor allem, weshalb das BAG die Rechtsfrage der Auslegung des Vermerks – reine Rechtsfrage – nicht selbst angestellt hat, sondern dafür erneut das LAG bemüht. Da die Urteilsgründe bisher nicht vorliegen, ist hier nur zu mutmaßen. Da die Notiz und deren Wortlaut dem BAG bekannt waren, kann es letztlich nur in der offenen Frage der im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigenden Begleitumstände, die zu der Notiz geführt haben (Tatsache), liegen. Im Ergebnis wird das LAG bei der Beantwortung dieser Frage auf die Ausführungen des Beklagten angewiesen sein. Denn diese für eine Auslegung wesentlichen Begleitumstände entspringen ausschließlich der Sphäre des die Stelle ausschreibenden Beklagten. Für andere Fälle bedeutet dies, dass eine unmittelbare Diskriminierung praktisch für den klagenden abgelehnten Bewerber kaum darzulegen ist, wenn sich nicht bereits aus der Begründung der Ablehnung die kausale Verknüpfung zu einem in § 1 AGG genannten Diskriminierungsmerkmal zweifelsfrei und eindeutig ergibt.

Hinsichtlich der Frage der mittelbaren Diskriminierung betonte das BAG zu Recht, dass auch ein auf den ersten Blick als neutral anzusehendes Kriterium durchaus eine mittelbare Diskriminierung begründen kann. Schwierig ist es aber aus Sicht eines abgelehnten Bewerbers, die richtige Vergleichsgruppe zu finden und darzulegen, dass die Gruppe mit dem gerügten Diskriminierungsmerkmal faktisch häufiger betroffen ist als die jeweils andere Gruppe.

Es fragt sich, was vorliegend die „richtige“ Vergleichsgruppe gewesen wäre. Meines Erachtens hätte statistisch – sofern denn überhaupt möglich – die Frage beantwortet werden müssen, ob Frauen (die nicht alleinerziehend sind) häufiger für die Betreuung etwa eines erkrankten Kindes einstehen als der jeweilige (männliche) Partner. Dies wird statistisch sicherlich kaum nachzuweisen sein. Diesen Schluss, dass (nicht alleinerziehende) Frauen im Rahmen der Partnerschaft häufiger für die Kinderbetreuung zuständig sind, wollte das BAG – jedenfalls ohne valide statistische Grundlage – nicht ziehen. Ob dies der Lebenswirklichkeit entspricht, sei dahingestellt. In der Vergangenheit war das BAG deutlich großzügiger mit der Bejahung einer solchen signifikant höheren Betroffenheit von Frauen (so bei der Frage einer mittelbaren Diskriminierung von Frauen, die nachweislich häufiger in Teilzeit beschäftigt sind als Männer). Zuzugestehen ist dem BAG aber jedenfalls, dass es der Klägerin als der die Entschädigung beanspruchenden Partei oblag, diesen (unmöglichen?) Nachweis zu führen.

eva.ruetz@luther-lawfirm.com

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