Im Blickpunkt: Urteil des BAG vom 20.11.2019 – 5 AZR 578/18
Von Stephanie Simokat
Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass eine Anrechnung eines Freizeitausgleichsanspruchs durch den Abbau eines Arbeitszeitkontos im Zusammenhang mit einer unwiderruflichen Freistellung in einem Prozessvergleich nur dann erfolgt, wenn diese ausdrücklich vereinbart worden ist.
Einleitung
Die Vereinbarung einer Freistellungsphase, innerhalb deren der Arbeitnehmer im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses während der Dauer der Kündigungsfrist freigestellt ist, ist der absolute Regelfall bei einer Trennung der Arbeitsvertragsparteien. Den Arbeitgebern liegt viel daran, nicht auch noch Urlaubsausgleichsansprüche oder weitere Freizeitausgleichsansprüche nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgelten zu müssen, insbesondere, wenn es noch eine längere Kündigungsfrist zu überbrücken gilt. Vor diesem Hintergrund wird zumeist in einer solchen Situation eine unwiderrufliche Freistellung des Arbeitnehmers unter Anrechnung sämtlicher Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüche in einem gerichtlichen Prozess vereinbart. Bei einer lediglich widerruflichen Freistellung ist diese Anrechnung nicht möglich.
Sachverhalt
Das Bundesarbeitsgericht hatte nun einen Sachverhalt zur Entscheidung vorliegen, wie er wohl nahezu täglich vor deutschen Arbeitsgerichten anzutreffen ist. Nachdem die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin gekündigt hatte, schlossen die Parteien im Kündigungsschutzprozess einen gerichtlichen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Arbeitgeberkündigung etwa zwei Monate später endete. Bis dahin stellte die Beklagte die Klägerin unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung unter Fortzahlung der vereinbarten Vergütung frei. In diesen Zeitraum sollte auch der Resturlaub der Klägerin eingebracht werden. Eine allgemeine Abgeltungs- oder Ausgleichsklausel enthielt der Vergleich nicht.
Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat die Klägerin die Abgeltung von Gutstunden auf ihrem Arbeitszeitkonto verlangt. Die Beklagte berief sich auf die unwiderrufliche Freistellung der Klägerin. Während das Arbeitsgericht Münster der Klage stattgab, sah das Landesarbeitsgericht Hamm die von der Beklagten eingelegte Berufung als begründet an. Das Bundesarbeitsgericht gab der Klägerin nunmehr recht.
Rechtliche Einordnung
Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass eine Freistellung in einem gerichtlichen Vergleich nur dann den Anspruch des Arbeitnehmers auf Freizeitausgleich zum Abbau des Arbeitszeitkontos erfüllt, wenn in dem Prozessvergleich hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt, dass mit der Freistellung auch ein Positivsaldo auf dem Arbeitszeitkonto der Klägerin ausgeglichen werden soll. Dem genügt die Klausel, der Arbeitnehmer werde unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt, nicht, so der entscheidende Senat. Die Vorinstanz hatte das noch anders entschieden.
Bei der Auslegung von Willenserklärungen ist auf den wirklichen Willen der Parteien abzustellen. Die Vorinstanz wies darauf hin, dass Prozessvergleiche als Verträge so auszulegen sind, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei sei zunächst vom Wortlaut auszugehen. Bei der Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien müssten auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einbezogen werden, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Dabei seien insbesondere die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Im Zweifel sei derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragsparteien gerecht werdenden Ergebnis führt.
Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass der Anspruch auf Freizeitausgleich zum Abbau von Gutstunden auf dem Arbeitszeitkonto nur dann erfüllt werde, wenn der Arbeitnehmer erkennen könne, dass der Arbeitgeber ihn zur Erfüllung des Anspruchs auf Freizeitausgleich von der Arbeitspflicht freistellen will. Daran fehle es vorliegend, so der Senat, da in dem gerichtlichen Vergleich weder ausdrücklich noch konkludent hinreichend deutlich festgehalten worden sei, dass die Freistellung auch dem Abbau des Arbeitszeitkontos dienen oder mit ihr der Freizeitausgleichsanspruch aus dem Arbeitszeitkonto erfüllt sein soll.
Auch die erste Instanz, das Arbeitsgericht Münster, hielt seinerzeit fest, dass der Wortlaut des geschlossenen Vergleichs nichts zu den im Arbeitszeitkonto der Klägerin verzeichneten Überstunden regele. Die Freistellungsvereinbarung enthalte lediglich die Unwiderruflichkeit der Freistellung. Darüber hinaus seien ausdrücklich die Urlaubsansprüche der Klägerin genannt. Anhaltspunkte dafür, dass Inhalt dieser Vereinbarung auch die Abgeltung noch bestehender Überstundenansprüche der Klägerin gewesen sein soll, existierten nach Auffassung des Arbeitsgerichts Münster nicht. Auch die Interessenlage bei Vergleichsschluss spreche nicht dafür, dass der Vergleich dahingehend auszulegen sei, dass mit der Freistellung die Überstundenansprüche der Klägerin erfüllt werden sollten. Die Freistellungsvereinbarung diente nach Ansicht des Arbeitsgerichts nicht in erster Linie der Erfüllung von Ansprüchen der Klägerin, sondern der Regelung der Arbeitsverpflichtung für den verbleibenden Zeitraum des Arbeitsverhältnisses.
Das Landesarbeitsgericht Hamm sah dies anders. Es stellte darauf ab, dass der Wortlaut des Vergleichs nicht ergiebig sei. Die Argumentation der Klägerin, die Freizeitausgleichsansprüche aus dem Arbeitszeitkonto würden vom Vergleich deswegen nicht erfasst, weil das Schicksal der anderen Freizeitansprüche, nämlich des Urlaubs, ausdrücklich geregelt sei, überzeugte die Kammer allerdings nicht. Dass der Vergleich zu dem einen Punkt eine Regelung treffe und zu dem anderen schweige, führe im Umkehrschluss mangels Vergleichbarkeit nicht zwingend zu der Annahme, dass auch eine Regelung tatsächlich unterbleiben sollte. Rechtlich sei zwischen Urlaubsanspruch und Anspruch auf Freizeitausgleich zu unterscheiden. Während beim Urlaub der Arbeitgeber keinen Anspruch darauf habe, gewährten Urlaub abzubrechen oder zu unterbrechen, handelt es sich beim Abbau eines zugunsten des Arbeitnehmers bestehenden Zeitsaldos in der Regel um eine Weisung zur Verteilung der Arbeitszeit im Sinne von § 106 Satz 1 GewO. Die sich aus dem Vergleich ergebende Interessenlage der Parteien und die übrigen Begleitumstände sprachen nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts Hamm dafür, dass mit der unwiderruflichen Freistellung auch ohne ausdrückliche Erwähnung die Freizeitausgleichsansprüche aus dem Arbeitszeitkonto ebenfalls erfüllt werden sollten.
Der Inhalt des Vergleichs mache die Intention der Parteien deutlich, alle Streitfragen des Arbeitsverhältnisses zu antizipieren und einer Lösung zuzuführen. Im Folgenden führt die entscheidende Kammer all das, was zwischen den Parteien ausdrücklich geregelt worden sei, auf. Im Zuge dessen stellt sie darauf ab, dass der Umstand, dass die Parteien derart viele Regelungen getroffen hätten, zu der Annahme führt, dass sie haben alles regeln wollen. Es werde deutlich, so das Gericht, dass die Parteien bei Abschluss des Prozessvergleichs ihre Vertragsbeziehung endgültig regeln wollten, um weiteren Streit zu vermeiden. Dagegen spreche im Weiteren auch nicht, dass die Parteien keine Ausgleichsklausel vereinbart hätten, da die gesamte vertragliche Vereinbarung deutlich mache, dass die Parteien dachten, dass sie keine derartige Klausel benötigten.
Fazit
Sowohl dem Bundesarbeitsgericht als auch dem Arbeitsgericht Münster ist zuzustimmen. Möglicherweise wollten die Parteien zwar alles regeln – sie haben es aber nicht getan. Zudem haben sie auch keine Ausgleichsklausel vereinbart, so dass es der Klägerin unbenommen blieb, die noch offene Forderung der Vergütung in Höhe der auf ihrem Arbeitszeitkonto befindlichen Gutstunden einzuklagen. Völlig zu Recht hat die Klägerin damit obsiegt. Wollen die Parteien in einem Kündigungsschutzprozess einen weiteren Rechtsstreit vermeiden, so müssen sie den Vergleich auch so anlegen, dass keine offenen Forderungen mehr auf einer Seite geltend gemacht werden können. Die Begründung des Senats bleibt abzuwarten – dem Ergebnis ist jedenfalls zuzustimmen.