Im Blickpunkt: Erstattung einer Massenentlassungsanzeige

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Betriebliche Restrukturierungsmaßnahmen und der damit verbundene Personalabbau begleiten die Unternehmenswelt seit jeher. Die Auswirkungen der Coronapandemie auf die Wirtschaft haben zusätzlich dazu beigetragen, dass sich Unternehmen – trotz der Möglichkeit von Kurzarbeitergeld als vorübergehende Maßnahme zur Bewältigung von Krisen – mehr und mehr gezwungen sehen, betriebsbedingte Kündigungen als endgültige Maßnahme auszusprechen, um größere Schäden vom Unternehmen abzuwenden. Soll mit der geplanten Restrukturierung ein größerer Personalabbau einhergehen, sind die aus § 17 KSchG folgenden Verpflichtungen zur Anzeige einer bevorstehenden Massenentlassung bei  der Agentur für Arbeit (nachfolgend: AfA) sowie die vorangehende Konsultation des Betriebsrats zu beachten. Auch europarechtliche Einflüsse, eine sich stetig im Fluss befindliche Rechtsprechung und fehlende eindeutige gesetzliche Vorgaben bergen erhebliche Risiken, denen im Rahmen der Restrukturierung ausreichend Beachtung geschenkt werden muss. Denn eine nicht ordnungsgemäße Anzeige führt ebenso zur Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen wie eine nicht ordnungsgemäße Konsultation der Arbeitnehmervertretung. Dass es im Rahmen solcher Anzeigeerstattungen leicht zu folgeträchtigen Fehlern kommen kann, haben unlängst die Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht (nachfolgend: BAG) zum Beispiel im Fall „Air Berlin“ gezeigt (vgl. BAG, Urteil vom 13.02.2020 – 6 AZR 146/19).

Der folgende Beitrag soll daher einen Überblick über zu beachtende Aspekte und Risiken im Zusammenhang mit der Erstattung einer Massenentlassungsanzeige geben.

Gesetzliche Verpflichtung zur Erstattung einer Massenentlassungsanzeige

Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, der AfA Anzeige zu erstatten, bevor er (i) in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als fünf Arbeitnehmer, (ii) in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern 10% der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer, (iii) in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt. In diese Schwellenwerte sind andere vom Arbeitgeber veranlasste Beendigungen des Arbeitsverhältnisses (insbesondere durch die Ankündigung eines Personalabbaus motivierte Eigenkündigungen oder Aufhebungsverträge) einzubeziehen. Die „Entlassung“ liegt im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung oder des Abschlusses einer Aufhebungsvereinbarung vor oder bei Zugang der vom Arbeitgeber veranlassten Eigenkündigung des Arbeitnehmers. Nicht erfasst sind hingegen außerordentliche fristlose Kündigungen (§ 17 Abs. 4 KSchG) sowie die Beendigung befristeter oder bedingter Arbeitsverhältnisse infolge von Fristablauf, Zweckerreichung oder Bedingungseintritt. Bezüglich der Frage, ob und zu welchem Zeitpunkt gekündigt werden kann, ist darüber hinaus zu beachten, ob ein etwaiger Sonderkündigungsschutz besteht und ob behördliche Zustimmungen vor Ausspruch der Kündigung eingeholt werden müssen.

Die Massenentlassungsanzeige muss zwingend vor der Entlassung erfolgen. Mit dieser Verpflichtung soll es der AfA ermöglicht werden, sich frühzeitig auf eine größere Anzahl von Entlassungen einzustellen und entsprechende Vorkehrungen zu treffen, um den erhöhten Beschäftigungsbedarf regional aufzufangen. Kündigungen, die ausgesprochen werden, bevor eine Anzeige die zuständige Stelle erreicht, sind unwirksam, § 17 Abs. 1, 3 KSchG i.V.m. § 134 BGB.

Darüber hinaus ist der Arbeitgeber nach § 17 Abs. 2 KSchG dazu verpflichtet, dem Betriebsrat – sofern ein solcher existiert – im Rahmen des Konsultationsverfahrens rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und ihn schriftlich über die geplante Maßnahme zu unterrichten. Ferner haben Arbeitgeber und Betriebsrat die Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern. Zur Formwahrung der Durchführung des Konsultationsverfahrens genügt entgegen der Formulierung in § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG „schriftlich“ die Textform (BAG, Urteil vom 13.06.2019 – 6 AZR 459/18). Die Schwerbehindertenvertretung ist hingegen aufgrund der zwischenzeitlich ergangenen Instanzenrechtsprechung nicht zu beteiligen. Eine doppelte Repräsentation ist nicht geboten und vom Gesetzeswortlaut auch nicht umfasst (BAG, Urteil vom 13.02.2020 – 6 AZR 146/19).

Das Anzeigeerstattungsverfahren – Inhalt, Form und Frist der Massenentlassungsanzeige

Um eine ordnungsgemäße Anzeige zu erstatten, müssen Inhalt und Form den gesetzlichen Angaben genügen. Der zwingende Inhalt ergibt sich aus § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG. Besondere Vorsicht ist bei der Angabe der Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten und der zu entlassenden Arbeitnehmer geboten. Hierbei hat sich der Arbeitgeber an dem von der AfA zur Verfügung gestellten Verzeichnis zu orientieren. Die Nutzung des von der Agentur für Arbeit bereitgestellten Formulars ist indes zu empfehlen. Dennoch gibt es weitere Besonderheiten, die nicht selbsterklärend aus den Fachlichen Weisungen hervorgehen, gleichzeitig aber entscheidend für die ordnungsgemäße Anzeigeerstattung und somit auch für die Wirksamkeit der Kündigungen sind.

Der Arbeitgeber hat die geplante Massenentlassung schriftlich (Textform soll – ebenso wie beim Konsultationsverfahren – nach überwiegender Auffassung ausreichend sein) bei der örtlich zuständigen AfA anzuzeigen und dieser, sofern vorhanden, eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat sowie dessen abschließende Stellungnahme zum Kündigungssachverhalt zuzuleiten; vgl. § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG.

Zudem ist die einmonatige Sperrfrist aus § 18 Abs.1 KSchG zu beachten. Während dieser Sperrfrist dürfen Entlassungen nur mit Zustimmung der AfA vorgenommen werden. Die AfA kann darüber hinaus anordnen, dass die Entlassungen nicht vor Ablauf von zwei Monaten nach Eingang der Massenentlassungsanzeige wirksam werden. Schließlich müssen innerhalb von 90 Tagen nach der Sperrfrist die Entlassungen vorgenommen werden, § 18 Abs. 4 KSchG. Andernfalls muss der Arbeitgeber eine erneute Massenentlassungsanzeige einreichen.

Die Einreichung der Massenentlassungsanzeige bei der „richtigen“ Agentur für Arbeit

Örtlich zuständig ist die AfA, in deren Bezirk der Betrieb liegt. Folglich kommt es nicht auf den Sitz des Unternehmens an. Seit der bereits zitierten „Air Berlin“-Entscheidung des BAG folgt der Betriebsbegriff in § 17 Abs. 1 KSchG nicht (mehr) der gängigen Definition nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), er ist vielmehr europarechtlich determiniert und lässt damit eine örtliche Leitung genügen, die für die ordnungsgemäße Durchführung der Arbeit und Lösung etwaiger technischer Probleme vor Ort sorgt (vgl. BAG, Urteil vom 13.02.2020 – 6  AZR 146/19).

Sind verschiedene Betriebe eines Unternehmens von den Kündigungen betroffen, bedarf es zur Klärung der örtlichen Zuständigkeit der AfA einer gründlichen Prüfung, welchem Betrieb die verschiedenen Arbeitnehmer angehören. Es sind dann für jeden Betrieb im einzelnen Anzeigen bei der jeweiligen zuständigen Stelle zu erstatten. Zwar besteht bei Eingang einer Anzeige bei einer örtlich unzuständigen AfA eine interne Weiterleitungspflicht an die örtlich zuständige AfA, der wirksame Eingang der Anzeige tritt jedoch erst mit Zugang bei der örtlich zuständigen AfA ein.

Um großen Unternehmen mit deutschlandweiten Niederlassungen die Anzeige von Massenentlassungen zu erleichtern, besteht die Möglichkeit, eine sogenannte Sammelanzeige bei der AfA einzureichen, die für den Hauptsitz des Unternehmens zuständig ist. Dieses Vorgehen ist nach Auffassung des BAG auch mit dem Unionsrecht vereinbar (BAG, Urteil vom 13.02.2020 – 6 AZR 146/19). Dabei muss für jeden Betrieb ein Vordruck ausgefüllt werden, also eine Massenentlassungsanzeige erfolgen. Die für den Hauptsitz zuständige AfA nimmt die Anzeigen entgegen, prüft für die betroffenen Betriebe die Anzeigepflicht nach § 17 KSchG und erledigt das Anzeigeverfahren abschließend (vgl. Fachliche Weisungen KSchG zu § 17 Nr. 2.2.3 Abs. 4, 5). Die für die betroffenen Betriebe zuständigen Arbeitsagenturen sind bei Bedarf zur Beurteilung der regionalen Arbeitsmarktlage zu beteiligen. Jedenfalls müssen diese über die geplanten Entlassungen informiert werden (BAG, Urteil vom 13.02.2020 – 6 AZR 146/19, Fachliche Weisungen KSchG zu § 17 Nr. 2.2.3 Abs. 4, 5). Dadurch wird das Anzeigeverfahren einerseits vereinfacht, da die Massenentlassungsanzeigen aller betroffenen Betriebe als Sammelanzeige gemeinschaftlich bei der AfA am Hauptsitz des Unternehmens erstattet werden können. Andererseits muss der Arbeitgeber trotzdem für jeden Betrieb einen Vordruck ausfüllen.

Praxistipp

Die kursorische Darstellung des Verfahrens zur Erstattung einer Massenentlassungsanzeige zeigt, dass es auf dem Weg zu einer ordnungsgemäßen Anzeigeerstattung einige Stolpersteine gibt, auf die es zu achten gilt. Massenentlassungen bedürfen einer genauen, auch zeitlichen Planung und ordnungsgemäßen Umsetzung. Hierzu gehören zum einen die Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen, zum anderen die Erstellung einer Strategie und eines zeitlichen Ablaufplans. Ein solches Vorgehen ist für Arbeitgeber wichtig, da Fehler im Verfahren der Massenentlassungsanzeige zur Unwirksamkeit der Kündigung führen können, auch wenn die AfA selbst einen solchen nicht feststellt. Die Anzeige muss also mit allergrößter Sorgfalt erstellt werden, um kostenintensive Fehler zu vermeiden. Ferner sollte zur Vermeidung von unnötigen Risiken gleichwohl stets darauf geachtet werden, dass die Anzeige bei der örtlich zuständigen AfA (mit Ausnahme für den Fall der Sammelanzeige) eingereicht sowie eine entsprechende Rückmeldung über den Eingang abgewartet werden, bevor Kündigungsschreiben zugehen.

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