Der Abstand der Vergütungshöhe zwischen den Geschlechtern (Gender-Pay-Gap) ist seit vielen Jahren ein allgegenwärtiges Thema. Trotz stärkeren Bewusstseins für den Gender-Pay-Gap und seine Folgen hat sich die Verdienstlücke nach den Informationen des Statistischen Bundesamts zum Gender-Pay-Gap 2022 nach wie vor in keinem EU-Staat vollständig geschlossen. In Deutschland betrug er im Jahr 2022 unbereinigt 18%, bereinigt (= vergleichbare Qualifikation, Arbeit, Arbeitszeit und Erwerbsbiographie) 7%.
Nach Art. 157 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union muss jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union die Anwendung des Grundsatzes für gleiches Entgelt für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicherstellen. Den rechtlichen Rahmen zur Durchsetzung dieser Rechte stellt das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) dar.
§ 3 EntgTranspG enthält ein Verbot der geschlechter-bedingten Entgeltungleichbehandlung, § 7 EntgTranspG ein Entgeltgleichheitsgebot. Im Fall eines Verstoßes gegen diese Regelungen kommt neben Ansprüchen auf Zahlung der Entgeltdifferenz auch ein Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Betracht.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) stärkt diese rechtlichen Vorgaben und deren Durchsetzung erneut mit seinem aktuellen Urteil vom 16.02.2023 (8 AZR 450/21). Die vollständigen Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor.
Gleiche Arbeit, ungleiche Entgelthöhe
Das BAG hatte über die von einer Arbeitnehmerin geforderte Zahlung von Vergütungsdifferenzen und einer Entschädigung wegen Entgeltungleichheit infolge behaupteter Geschlechterdiskriminierung zu entscheiden.
Im Vertrieb der verklagten Arbeitgeberin waren neben der Klägerin zwei Männer als Außendienstmitarbeiter mit identischen Aufgaben beschäftigt. Während die Klägerin zunächst 3.500 Euro und ab dem 01.08.2018 nach dem Haustarifvertrag und unter Anwendung der jährlichen maximalen Anpassung sodann 3.620 Euro brutto erhielt, hatte einer der Kollegen der Klägerin zunächst übergangsweise ein Grundentgelt von 4.500 Euro brutto ausgehandelt, zwischenzeitlich 3.500 Euro brutto erhalten und später letztlich ein Grundentgelt von 4.000 Euro brutto, das sich ab dem 01.08.2018 ebenfalls nach dem Haustarifvertrag um den maximalen Anpassungsbetrag von monatlich 120 Euro auf 4.120 Euro brutto erhöhte.
Mit ihrer Klage verlangte die Arbeitnehmerin die Zahlung der jeweiligen Vergütungsdifferenz zwischen ihrem Grundentgelt und dem Grundentgelt ihres männlichen Kollegen sowie eine Entschädigung infolge einer Ungleichbehandlung aufgrund ihres Geschlechts. Die Arbeitgeberin verwies darauf, dass der männliche Kollege zum einen „besser verhandelt“ und deshalb anfangs ein höheres vertragliches Grundentgelt erhalten habe. Die Erhöhung auf 4.000 Euro brutto sei darin begründet, dass er einer ausgeschiedenen Vertriebsmitarbeiterin nachgefolgt sei, die besser bezahlt worden sei.
Vermutung geschlechterbedingter Benachteiligung
Das BAG sah in der Zahlung eines bei gleicher Arbeit – in Bezug auf das Entgelt ihres Kollegen – geringeren Grundentgelts an die Arbeitnehmerin ein Indiz für eine Ungleichbehandlung, die an das Geschlecht anknüpft (§ 22 AGG). Diese indizierte geschlechterbedingte Ungleichbehandlung führt jedoch nicht sogleich zu einem Anspruch auf Zahlung der Differenzvergütung sowie einer Entschädigung.
Nach § 22 AGG kann der Arbeitgeber den vermuteten Verstoß widerlegen. Dies ist der beklagten Arbeitgeberin hier jedoch nicht gelungen. Nach Ansicht des BAG könne sich die Arbeitgeberin nicht erfolgreich darauf berufen, dass der Grund für das höhere Grundentgelt des männlichen Kollegen darin liege, dass er dies ausgehandelt habe. Auch die für die Entgeltdifferenz von der Arbeitgeberin behauptete Begründung, der männliche Kollege sei einer Arbeitnehmerin nachgefolgt, die besser bezahlt worden sei, widerlege die Vermutung der Entgeltbenachteiligung aufgrund des Geschlechts nicht.
Infolge der indizierten und nicht durch eine hinreichende sachliche Begründung widerlegten Vermutung eines Verstoßes gegen das Verbot der geschlechterbedingten Entgeltungleichbehandlung erachtet das BAG sowohl die geforderte Zahlung der Differenzvergütung als auch die beanspruchte Entschädigung ganz überwiegend als begründet. Die Höhe der Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen Benachteiligung aufgrund des Geschlechts bemisst das BAG mit 2.000 Euro und nicht – wie von der Arbeitnehmerin gefordert – mit mindestens 6.000 Euro.
Bedeutung für die Praxis
Die der Pressemitteilung zu entnehmende Kernaussage des BAG, dass ein Arbeitnehmer Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Tätigkeit habe, wenn der Arbeitgeber Kollegen des jeweils anderen Geschlechts ein höheres Entgelt zahle, überrascht angesichts der §§ 3 und 7 EntgTranspG nicht. Das Urteil bedeutet aber nicht, dass es stets eine Entgeltgleichheit bei Arbeitnehmern geben muss. Denn verboten ist eine unterschiedliche Entgelthöhe aufgrund des Geschlechts, nicht aber wegen sachlicher Kriterien, insbesondere hinsichtlich der verrichteten Arbeit, der Arbeitszeit, der Qualifikation und der Erwerbsbiographie einschließlich der Betriebszugehörigkeit. Bestehen diesbezügliche Unterschiede (zum Beispiel bei der Berufserfahrung, berufsrelevanten Kenntnissen und Qualifikationen oder der Betriebszugehörigkeit), ist eine Entgeltdifferenzierung möglich; solche sachlichen Gründe können eine unterschiedliche Entgelthöhe rechtfertigen. Sie müssen aber im Prozess dann auch nachgewiesen werden können.
Vorbehaltlich einer genauen Analyse der Entscheidungsgründe des BAG gehört ein „besseres Verhandlungsgeschick“ allein als solches jedoch nicht dazu. Es ist nicht geeignet, eine indizierte Vermutung einer Entgeltungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts zu entkräften, wenn nicht andere sachliche Argumente für die Differenzierung vorhanden sind.
Abzuwarten bleibt, ob das Urteil dazu führt, dass nunmehr vermehrt versucht wird, Entgeltunterschiede aufzudecken und etwaige Differenzvergütungen und zusätzlich eine Entschädigung geltend zu machen.
Dies dürfte neben verschiedenen Erwägungen im Einzelfall maßgeblich von der Kenntnis oder der Möglichkeit der Kenntniserlangung der Vergütungshöhe der Beschäftigten des jeweils anderen Geschlechts abhängen. Zur Überprüfung und Einhaltung des Entgeltgleichheitsgebots nach § 7 EntgTranspG gibt das Entgelttransparenzgesetz Arbeitnehmern in Betrieben mit in der Regel mehr als 200 Beschäftigten bei demselben Arbeitgeber einen individuellen Auskunftsanspruch an die Hand (§§ 10 ff. EntgTranspG). Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich auf Angaben zu den Kriterien und den Verfahren der Entgeltfindung sowie auf die Angabe zum Entgelt für die Vergleichstätigkeit. Das Vergleichsentgelt ist allerdings nicht anzugeben, wenn die Vergleichstätigkeit von weniger als sechs Beschäftigten des jeweils anderen Geschlechts ausgeübt wird (§ 12 Abs. 3 Satz 2 EntgTranspG).
Wenngleich das Entgelttransparenzgesetz unterhalb dieser Schwelle zwar keinen Auskunftsanspruch gewährt, gelten das Verbot der geschlechterbedingten Ungleichbehandlung und das Entgeltgleichheitsgebot auch in Unternehmen mit bis zu 200 Beschäftigten. Erlangt insbesondere eine Beschäftigte Kenntnis davon, dass ein in Bezug auf die Tätigkeit vergleichbarer Kollege ein höheres Entgelt erhält, kann dies – sofern es bewiesen wird – ein Indiz für eine geschlechterbedingte Ungleichbehandlung darstellen, die der Arbeitgeber widerlegen kann. Relevant kann dies vor allem dort werden, wo Entgelte individuell ausgehandelt werden und es keine Vergütungssysteme oder -ordnungen mit objektiven sachlichen Kriterien für die jeweilige Entgelthöhe gibt. Wird eine Vergütung individuell ausgehandelt, ist zu empfehlen, die wesentlichen Erwägungen und sachlichen Gründe (zum Beispiel besondere Berufserfahrungen, Kenntnisse, Qualifikationen) zu dokumentieren. In Zeiten des Arbeitskräftemangels werden Arbeitgeber nicht umhinkommen, attraktive Arbeitsbedingungen anzubieten und Forderungen der Bewerber und Bewerberinnen zu akzeptieren. Abseits des vom BAG in diesem Fall festgestellten Diskriminierungstatbestands werden Arbeitgeber in der Regel größtes Interesse an einer Gleichbehandlung und Transparenz bei der Vergütung haben, da erfahrungsgemäß auch die „besten“ diesbezüglichen Verschwiegenheitsklauseln in Arbeitsverträgen nicht dazu führen, dass sich Arbeitnehmer nicht über ihre Vergütungen austauschen und mit den gewonnenen Erkenntnissen ihren Arbeitgeber „konfrontieren“.
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