Im Blickpunkt: Reform des Arbeitnehmerentsendegesetzes

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Bereits im Frühjahr 2018 wurde seitens der Europäischen Union eine Novellierung der EU-Entsenderichtline beschlossen. Vereinfacht ausgedrückt, lautet das Ziel der Reform: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort!“ Den EU-Mitgliedsstaaten wurde damals eine Frist bis Juli 2020 eingeräumt, um die Änderungen der Richtlinie in ihre jeweiligen Gesetze einfließen zu lassen. Während andere Länder wie Frankreich früher mit der Umsetzung begannen, wurde in Deutschland die Reform des hiesigen Arbeitnehmerentsendegesetzes erst in den vergangenen Wochen, also fristgerecht, in Bundestag und Bundesrat verabschiedet. Sie wird am 30.07.2020 in Kraft treten.
Während in der Öffentlichkeit für längere Zeit Unsicherheit hinsichtlich der konkreten Änderungen am Arbeitnehmerentsendegesetz im Zuge der EU-Reform bestand, ist jetzt klar, dass der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben aus Brüssel im Wesentlichen eins zu eins übernehmen wird. Kurz zusammengefasst, soll mit folgenden Maßnahmen EU-weit für mehr Lohngerechtigkeit für entsandte Mitarbeiter gesorgt werden:

Alle nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer müssen in Zukunft nach den allgemein geltenden Tarifverträgen der jeweiligen Branche vergütet werden. Zuvor galten für Arbeitnehmer ausländischer Unternehmen lediglich die branchenspezifischen Mindestentgeltsätze.

  • Gleiches gilt auch für Ansprüche auf Urlaubs-, Weihnachts- oder Schlechtwettergeld sowie Überstundensätze, Zulagen (zum Beispiel die Schmutz- und Gefahrenzulage) oder Sachleistungen des Arbeitgebers.
  • Zulagen für Entsendekosten, zum Beispiel für Reisen und Unterbringungen, dürfen künftig nicht mehr auf den Lohn angerechnet werden.
  • Die vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Unterkünfte müssen darüber hinaus den Mindeststandards der Arbeitsstättenverordnung entsprechen.
  • Erstmals werden die Einsätze von Arbeitnehmern im EU-Ausland auf zwölf Monate befristet. Eine Verlängerung auf 18 Monate muss behördlich angezeigt werden.

Sorgen bei deutschen Arbeitgebern bezüglich des EU-weiten Wettbewerbs
Insgesamt ist die Reform des Arbeitnehmerentsendegesetzes ein Schritt in Richtung Stärkung der Arbeitnehmerrechte innerhalb der EU und kann als klares Zeichen im Kampf gegen Lohndumping, Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung gesehen werden. Für Arbeitgeber aus einem Hochlohnland wie Deutschland birgt eine derart allgemein formulierte Gesetzesänderung aber auch potentielle Nachteile im internationalen Wettbewerb mit Unternehmen aus Niedriglohnländern.
Zwar gilt die Verpflichtung ausländischer Arbeitgeber, ihren nach Deutschland entsandten Mitarbeitern künftig auch die in Deutschland geltenden allgemeinen Branchentariflöhne zu zahlen, als Wettbewerbsentlastung, doch das unterschiedliche Niveau der Sozialabgaben in den verschiedenen EU-Staaten bereitet hiesigen Unternehmen Sorgen. Diese werden nämlich auch weiterhin ausschließlich im Heimatstaat des Entsendeten fällig, was bedeutet, dass für ausländische Unternehmen erheblich geringere Lohnkosten wegen der geringeren Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile in der heimatlichen Sozialversicherung anfallen. In Branchen wie etwa der Baubranche, wo die meisten ausländischen Mitarbeiter aus Ländern mit deutlich niedrigeren Kosten für Sozialabgaben, wie etwa Polen oder Rumänien, stammen, wird dies besonders kritisch betrachtet, weil sich daraus ein klarer Preisvorteil für die Konkurrenz aus Osteuropa ergibt. Zusätzlich besteht weiterhin die Gefahr, dass Briefkastenfirmen ohne eigentlichen Geschäftsbetrieb und lediglich mit ihrem Firmensitz in einem europäischen Niedriglohnland diesen Vorteil gezielt ausnutzen.
Wie kann dieses Spannungsfeld zwischen Wettbewerbs- und Arbeitnehmerschutz also aufgelöst werden? Eine entsprechende Änderung des Sozialversicherungsrechts, die ausländische Arbeitgeber dazu verpflichtet, Sozialversicherungsbeiträge im Entsendeland zu zahlen, ist illusorisch – und das aus gutem Grund. Eine derartige Änderung würde nämlich eine erneute Benachteiligung der Arbeitnehmer nach sich ziehen, die gemäß den europäischen Verordnungen zur Sozialversicherung ein Recht auf eine möglichst kontinuierliche Versicherungshistorie in einem einzigen Sozialversicherungssystem haben. Das hierbei verfolgte Prinzip lautet: Wenn möglich, eine Rente – aus einem System. Dieses Arbeitnehmerrecht ist aus Sicht des europäischen Gesetzgebers schützenswerter als wettbewerbsrechtliche Arbeitgeberinteressen aus Hochlohnländern.

Striktere Kontrollen für stärkeren Wettbewerbsschutz
Eine aussichtsreiche Alternative zu einer Reform des EU-Sozialversicherungsrechts auf der Suche nach einem Ausgleich von Wettbewerbsnachteilen für Arbeitgeber aus Hochlohnländern könnten regelmäßigere und tiefgreifendere Kontrollen bei den Unternehmen, aber auch an den Einsatzorten darstellen. Unlauteren Geschäftsmodellen wie den bereits erwähnten Briefkastenfirmen würde auf diese Weise effektiv Einhalt geboten.
Solche Kontrollen würden nicht nur das Spannungsfeld zwischen Arbeitnehmer- und Wettbewerbsschutz auflösen, sondern sie wären eine aussichtsreiche Ergänzung bei der Erreichung der eigentlichen Ziele der EU-Entsenderichtlinie: der Bekämpfung von Phänomenen wie Lohndumping durch Schwarzarbeit und Scheinentsendungen. Damit dies effektiv gelingt, müsste allerdings bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit erheblich Personal aufgebaut werden. Denn wie so oft gilt auch hier, dass funktionierendes Recht von seiner Durchsetzung lebt.

Regionale Tarifverträge und die Frage nach „angemessener Entlohnung“
Doch auch von Arbeitnehmerseite gibt es Kritik an der Reform. Ein Punkt, der vor allem von Gewerkschaftsvertretern angeführt wird, ist, dass das angepasste Gesetz Arbeitgeber lediglich dazu verpflichtet, nach Deutschland entsandte Mitarbeiter gemäß den in der jeweiligen Branche bundesweit für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen zu bezahlen. Regionale Tarifverträge, die zuweilen stark von den allgemeinen abweichen können, finden keine Berücksichtigung.

Während die vehementesten Kritiker hierin ein neues Schlupfloch für Lohndumping sehen, lohnt sich der Hinweis darauf, dass mit dem reformierten Gesetz die Begrenzung einer Entsendung auf maximal zwölf Monate strikter denn je umgesetzt werden soll. Es gibt allerdings die Möglichkeit einer Verlängerung auf 18 Monate, diese muss jedoch gegenüber der zuständigen Behörde der Zollverwaltung angemeldet werden. Der Zeitraum, in dem ein nach allgemeinverbindlichem Bundestarifvertrag bezahlter ausländischer Arbeitnehmer also theoretisch weniger verdienen würde als ein nach regionalem Tarifvertrag bezahlter Arbeitnehmer aus Deutschland, wird durch diesen Zeitrahmen begrenzt.
An dieser Stelle wird deutlich, wie stark sich der Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ im europarechtlichen Spannungsverhältnis von Dienstleistungsfreiheit, Sozialschutz und Schutz vor unfairem Wettbewerb befindet. Denn an sich ist das Nutzen komparativer Kostenvorteile durch geringere Lohnkosten am jeweiligen Unternehmenssitz europarechtlich ausdrücklich erlaubt. Gleichzeitig sollen entsandte Arbeitnehmer vor Lohndumping und ortsansässige Wettbewerbsunternehmen am Ort der Diensterbringung vor einem unfairen Unterbietungswettbewerb geschützt werden. Für den fairen und verhältnismäßigen Ausgleich dieser teilweise konfligierenden Interessen spielen die Dauer und die Häufigkeit der jeweiligen Mitarbeiterentsendung eine entscheidende Rolle. Je stärker sich die jeweilige Entsendung in einen anderen Mitgliedsstaat dahingehend verfestigt, dass der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin dort mit allen Kosten der Lebenshaltung und sozialen Teilhabe integriert wird, umso eher ist es gerechtfertigt, dass er oder sie gemäß dem Entgeltniveau der vergleichbaren lokalen Arbeitnehmer derselben Branche entlohnt wird. Andererseits ist auch zu berücksichtigen, dass sich bei eher kurzen und gelegentlichen Entsendungen die Lebenshaltungskosten des Entsandten vorwiegend an den Bedingungen des jeweiligen Wohnsitzes orientieren. Der europäische Gesetzgeber und, ihm folgend, auch der deutsche Gesetzgeber haben jetzt spürbar das Prinzip der sozialen Teilhabe und des Wettbewerbsschutzes im Entsendestaat in den Vordergrund gestellt, und zwar auch bei kurzfristigen und nur gelegentlichen Entsendungen.

Verbesserte Einhaltung der Unterbringungsstandards
Eine klare Verbesserung mit Blick auf den Schutz von nach Deutschland entsandten Arbeitnehmern ist, dass künftig auch Arbeitgeber mit Sitz im Ausland an die gesetzlichen Anforderungen an Arbeitnehmerunterkünfte gebunden sind. In dringenden Fällen dürfen Mitarbeiter der Zollbehörden die Unterkünfte zudem jederzeit betreten und kontrollieren. Angesichts der im Rahmen der aktuellen Coronapandemie öffentlich gewordenen Missstände bei der Unterbringung von Mitarbeitern in der Fleischindustrie ist dieser Schritt absolut zu begrüßen. Doch wie bereits im Kampf gegen Lohndumping und Scheinentsendungen gilt auch hier, dass das geltende Recht nur so stark ist wie seine Durchsetzung. Mit konsequenten Kontrollen der Unterbringungsverhältnisse bietet das reformierte Arbeitnehmerentsendegesetz eine gute Grundlage, um Missstände, wie wir sie in den vergangenen Monaten gesehen haben, einzudämmen. Die entsprechenden Kontrollen zur Einhaltung dieser Vorgaben wären eine angemessenere Problemlösung als die vielerorts jüngst diskutierte generelle Abschaffung von Werkverträgen im Allgemeinen oder in bestimmten Wirtschaftszweigen.

aboysen@fragomen.com

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