In Russland berät Rödl & Partner Mandanten in Rechts-, Steuer-, Buchhaltungs- und Prüfungsfragen an den Standorten Moskau und St. Petersburg. Rund 200 mehrsprachige russische und deutsche Mitarbeiter arbeiten vor Ort in Teams. Ein Überblick zu den aktuellen Entwicklungen.
Deutscher AnwaltSpiegel: Beobachten Sie, dass mehr Unternehmen ihr Russlandgeschäft in Frage stellen?
Dr. Andreas Knaul: Einige Unternehmen haben bereits ihre Aktivitäten auf dem russischen Markt eingestellt oder überlegen dies. Große Konzerne wie Shell senden mit ihrem Ausstieg aus dem Russlandgeschäft Signale an andere Marktteilnehmer. Aber für jedes Unternehmen muss die Lage individuell betrachtet werden. Eine Standardlösung für alle Unternehmen mit Russlandbezug gibt es nicht. Viele unserer Mandanten versuchen, passende Lösungen zu finden, um ihre Geschäfte an die neuen politischen und rechtlichen Bedingungen anzupassen und die Tätigkeiten in Russland fortzusetzen.
Zum Beispiel fragen viele Mandanten, ob Einschränkungen für die Lieferung bestimmter Waren nach Russland gelten und ob russische Unternehmen diese Lieferungen bezahlen können, oder auch, welche Produkte in Russland aufgrund der Sanktionen nicht importiert werden dürfen.
Das einzige Embargo, das bereits seit der Einführung der ersten Sanktionen 2014 gilt, ist das Verbot der Einfuhr landwirtschaftlicher Produkte, Rohstoffe und Lebensmittel. Andere Waren können nach Russland uneingeschränkt geliefert werden. Es gelten neuerdings gewisse Einschränkungen für die Bezahlung der an russische Unternehmen gelieferten Waren. In einer der jüngsten Erläuterungen betonte die Zentralbank, dass die in Russland ansässigen Personen nur noch eingeschränkt und teilweise nach Genehmigung Zahlungen an Nichtansässige sowohl in Rubel als auch in Fremdwährung zur Bezahlung im Ausland gekaufter Waren und Leistungen überweisen können. Die absolute Mehrheit der Sanktionen in Bezug auf die Lieferung bestimmter Produkte nach Russland kommt aus den USA oder den europäischen Staaten. Deshalb muss bei der geplanten Lieferung jeglicher Waren nach Russland geprüft werden, ob der Export dieser Waren nach Russland erlaubt ist.
Natürlich müssen russische Unternehmen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit die durch den russischen Präsidenten eingeführten Einschränkungen in Bezug auf eine Reihe von Transaktionen und Geschäften mit ausländischen Geschäftspartnern berücksichtigen, vor allem in den Ländern, die Sanktionen gegen Russland verhängt haben. Insbesondere für Transaktionen, die zur Entstehung des Eigentumsrechts an Wertpapieren und Immobilien führen, sowie für die Gewährung von Krediten und Darlehen muss nun eine Erlaubnis von der Regierungskommission oder Zentralbank in Russland erteilt werden. Dabei betrifft die Einschränkung neue Darlehensverträge mit Nichtansässigen und die Übergabe von Geldmitteln in Fremdwährung an Nichtansässige auf Grundlage von Darlehensverträgen, die vor dem 01.03.2022 abgeschlossen wurden. Allerdings können z.B. ansässige Personen uneingeschränkt Geldmittel von Nichtansässigen erhalten, wenn diese ihre Verpflichtungen aus den an Ansässige (Residenten) gewährten Darlehen erfüllen.
Das heißt, dass die eingeführten Einschränkungen vor allem nicht auf die russischen Unternehmen ausgerichtet sind, deren Tätigkeit immer noch Gewinne bringen kann. Es sollte nicht vergessen werden, dass in Russland weiterhin aktive Förderungsmaßnahmen für kleine und mittelständische Unternehmen sowie für einzelne Branchen bestehen. So ist beispielsweise geplant, die planmäßigen Prüfungen kleiner und mittelständischer Unternehmen für 2022 sowie die planmäßigen Prüfungen von Unternehmen im IT-Bereich bis Ende 2024 zu untersagen. Es wird auch vorgeschlagen, Genehmigungs- und Lizenzierungsverfahren zu vereinfachen. Unter der Bedingung der rechtzeitigen Reaktion auf die eingeführten Einschränkungen und der Orientierung in den verfügbaren Unterstützungsmaßnahmen ist die Unternehmenstätigkeit in Russland auch unter Berücksichtigung der aktuellen Situation grundsätzlich nicht verboten.
Deutscher AnwaltSpiegel: Was sind die Gründe für dieses Umdenken, eher moralische oder eher wirtschaftliche?
Ekaterina Dworack: Dass moralische Bedenken eine Rolle spielen, ist unstreitig, jedoch steht die Zukunft der wirtschaftlichen Zusammenarbeit im Rahmen von Sanktionen, die die Bevölkerung möglichst nicht treffen sollen, im Vordergrund. Es besteht die Möglichkeit, dass erste Lieferketten abreißen. Unternehmen müssen ihre Kunden und Geschäftspartner daraufhin überprüfen, ob sie auf der Sanktionsliste stehen, wobei eine Zusammenarbeit dann eventuell nicht mehr möglich ist. Es müssen weiterhin der Sturz des Rubel-Kurses in Geschäftsprozessen sowie der teilweise Ausschluss aus dem SWIFT-System bedacht werden. Bekanntlich hat die EU den Beschluss über den SWIFT-Ausschluss mit Wirkung ab 12.03.2022 gefasst. Es ist jedoch anzumerken, dass dieser Beschluss nur sieben Banken betrifft, die bereits unter Sanktionen stehen (nicht Sberbank und Gazprombank), sowie juristische Personen, Organisationen und Einrichtungen, deren Eigentumsrechte zu mehr als 50% unmittelbar oder mittelbar bei den sanktionierten Banken liegen. All diese Fragen beschäftigen die Unternehmen, die ihr Russlandgeschäft jetzt grundlegend überdenken.
Deutscher AnwaltSpiegel: Welchen Einfluss dürfte der geplante Erlass der russischen Zentralbank zum Umtausch der Exporterlöse in Rubel haben?
Maria Kirilova: Die Exporterlöse deutscher Unternehmen sollen zu 80% in Rubel umgetauscht werden, und zwar auch rückwirkend bis Anfang des Jahres. Was dies für Folgen haben wird, ist schwer abschätzbar, da diese von vielen Faktoren abhängen wie dem Leitzins und der weiteren Entwicklung und dem Zustand der russischen Wirtschaft. Die Zentralbank in Moskau reagierte auf die Geschehnisse mit einem mehr als verdoppelten Leitzins. Russische Firmen, die Einkommen aus Exporten erzielen, müssen zudem 80% ihrer ausländischen Devisen verkaufen, um ein weiteres Fallen des Rubel abzufangen. Es ist eine Umstellung, die zum Alltag im Russlandgeschäft gehören wird – eine von vielen Umstellungen, die in ihrem Zusammenspiel zu diesem Zeitpunkt schwer einschätzbar sind.
Deutscher AnwaltSpiegel: Wird das noch mehr Unternehmen aus dem Land treiben?
Dr. Andreas Knaul: Die vielen Veränderungen werden das Russlandgeschäft umkrempeln, darunter die Pflicht, Exporterlöse zu 80% in Rubel umzutauschen. Da dies ein bedeutender Eingriff in die Unternehmenspraxis ist, werden einige Unternehmen diese Umstellung nicht in Kauf nehmen wollen und den russischen Markt verlassen.
Deutscher AnwaltSpiegel: Was müssen Unternehmen beachten, die einen Rückzug planen?
Ekaterina Dworack: Unternehmen sollten sich bei einem Rückzug aus dem Russlandgeschäft stets an den aktuellen Meldungen zur Gesetzeslage orientieren. Generell plant die russische Regierung, einen Rückzug der ausländischen Unternehmen zu erschweren. Für ausländische Investoren soll die Möglichkeit, ihre Unternehmensbeteiligungen in Russland abzustoßen, zeitweise eingeschränkt werden. Nach Angaben des russischen Premierministers Michail Mischustin liegt bereits ein entsprechender Gesetzentwurf vor. Es ist wichtig, die Maßnahmen seitens Russlands zu verfolgen und die zutreffenden bei einem Ausstieg zu beachten. Es sollte immer das aktuell geltende rechtliche Prozedere, wie z.B. für Liquidation und Umwandlung, gerade auch in der aktuellen Zeit beachtet werden. Diese Verfahren sind für russische Unternehmen immer noch verfügbar, zurzeit gibt es noch keine gesetzlichen Änderungen in diesem Zusammenhang.
Es ist jedoch zu verstehen, dass der Rückzug vom Markt nicht auf einen Schlag erfolgen kann: Die Liquidation eines Unternehmens z.B. ist ein langwieriges Verfahren, das nach unserer Erfahrung im Durchschnitt zehn bis zwölf Monate dauert. Deshalb müssen vor einer übereilten Beschlussfassung über die Einleitung dieses Verfahrens die finanzielle Lage des Unternehmens sowie die Möglichkeit und Zweckmäßigkeit der Fortsetzung seiner Tätigkeit objektiv bewertet werden.
Es ist anzumerken, dass wir noch keine Aufträge zur Liquidation von Unternehmen erhalten haben. Am stärksten interessieren sich unsere Mandanten für die Rückführung der in russische Unternehmen investierten Geldmittel. Zurzeit sind Zahlungen aus Russland in Form von Darlehen in Rubel oder Fremdwährung praktisch unmöglich, weil das Verfahren zur Erteilung von Erlaubnissen für solche Darlehen noch nicht bestätigt ist. Die formale Bezahlung von Marketingleistungen ist ebenfalls unmöglich, weil die tatsächliche Erbringung von Leistungen bewiesen werden muss. Eine umsetzbare Option wäre in diesem Fall die Herabsetzung des Kapitals auf die minimale Höhe, dies kann jedoch aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Anforderungen zweieinhalb bis drei Monate in Anspruch nehmen.
Eine weitere Option, die unsere Mandanten interessiert, ist die Dividendenausschüttung. Diese Option kann immer noch in Betracht gezogen werden, obwohl russische Medien unter Berufung auf das Pressenzentrum der Zentralbank mitteilen, dass die Dividendenausschüttung ins Ausland eingestellt wird. Wir werden beobachten, ob ein entsprechender Rechtsakt in diesem Zusammenhang in Kraft gesetzt wird.
Deutscher AnwaltSpiegel: Sehen Sie die Gefahr, dass deutsche Unternehmen in Russland enteignet werden?
Maria Kirilova: In Form von Gegensanktionen seitens Russlands scheint auch eine Enteignung von Unternehmen nicht völlig ausgeschlossen. Die russische Regierung hat schon einen Gesetzentwurf erstellt, der externe Verwaltung für einige Unternehmen mit ausländischer Beteiligung ermöglicht. Solche Gesellschaften müssen bestimmten Kriterien entsprechen wie der 25%igen Kontrolle von der Seite der „Personen ausländischer Staaten, die unfreundliche Handlungen begehen“, Bilanzwert des Vermögens, Mitarbeiterzahl. Sind die Kriterien erfüllt, können die Funktionen der externen Verwaltung von der staatlichen Entwicklungsgesellschaft „VEB.RF“ wahrgenommen werden. Obwohl die Autoren des Gesetzentwurfs behaupten, dass das Hauptziel des Entwurfs in der Erhaltung von Arbeitsplätzen für russische Bürger besteht, existiert auch die Auffassung, dass die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs der „erste Schritt hin zur Verstaatlichung des Vermögens ausländischer Unternehmen“ sein wird. Es ist schwer zu sagen, wie stark der Gesetzentwurf bis zu seiner offiziellen Veröffentlichung geändert wird und wie schnell er in Kraft tritt, aber momentan wird er in Russland aktiv diskutiert.
Deutscher AnwaltSpiegel: Vielen Dank für diese ersten Einschätzungen in einer durch den fortdauernden Krieg weiter sehr unsicheren und dynamischen wirtschaftlichen Lage.